Das Ungeheuer
gekleidet. Er trug ein Kapuzencape; die Kapuze allerdings zurückgeschlagen. Die Frau hatte einen Skianorak an, der völlig durchnäßt war.
»Das ist Mr. Norwell«, erklärte Victor. »Er ist von der Sicherheitsfirma.«
»Guten Abend, Ma'am!« sagte der Wachmann.
»Und das ist Sharon Carver«, fuhr Victor mit einer Geste zu der Frau fort. »Eine ehemalige Chimera-Angestellte, die eine Klage wegen Geschlechtsdiskriminierung gegen uns eingereicht hat.«
»Sie wollte Ihre Garagentür bemalen«, erläuterte der Nachtwächter. »Ich habe sie kurz lossprayen lassen, damit wir außer unbefugtem Eindringen noch was gegen sie in der Hand haben.« Ein wenig betreten sah Marsha zu der triefenden Frau hinüber; dann lief sie zum Telefon und rief die Polizei in North Andover an.
Anschließend ging die ganze Gruppe in die Küche, und Marsha brühte Tee auf. Bevor sie mehr als einen Schluck hatten trinken können, läutete es wieder an der Tür. Victor öffnete. Es waren Widdicomb und O'Connor.
»Sie halten uns wirklich in Trab«, meinte Widdicomb grinsend. Sie traten ein und zogen die nassen Mäntel aus.
Norwell brachte Sharon Carver aus der Küche.
»Das ist also die junge Dame«, sagte Widdicomb. Er zog ein Paar Handschellen hervor.
»Sie brauchen mich nicht zu fesseln, um Gottes willen!« fauchte Sharon.
»Sorry, Miß!« erwiderte Widdicomb. »Vorschrift.«
In wenigen Augenblicken war alles erledigt, und die Polizisten verschwanden mit ihrer Gefangenen.
»Sie können gern noch Ihren Tee austrinken«, sagte Marsha zu dem Wachmann, der im Flur stand.
»Danke, Ma'am, aber ich bin schon fertig. Gute Nacht!« Der Wachmann ging hinaus und zog die Tür hinter sich zu. Victor schob den Riegel vor.
Marsha sah ihn an und schüttelte lächelnd den Kopf. »Wenn ich das irgendwo gelesen hätte, würde ich es nicht glauben.«
»Gut, daß wir den Wachmann hierbehalten haben«, meinte Victor und streckte die Hand nach ihr aus. »Komm! Wir können noch ein bißchen schlafen.«
Aber das war leichter gesagt als getan. Eine Stunde später lag Victor immer noch wach und lauschte dem Heulen des Windes draußen. Der Regen trommelte in plötzlichen Böen gegen die Fensterscheiben, und jeder Windstoß ließ ihn zusammenfahren. Die Resultate von Davids DNS-Abdruck gingen ihm nicht aus dem Kopf, und das Cephaloclor in den Blutproben ebenfalls nicht.
»Marsha«, flüsterte er. Sie antwortete nicht. Er flüsterte noch einmal, doch sie blieb stumm. Victor glitt aus dem Bett, zog den Bademantel über und ging den Gang hinunter in sein Arbeitszimmer.
Er setzte sich an seinen Tisch und schaltete den PC ein. Über das Modem loggte er sich in den Hauptcomputer bei Chimera ein, und dabei entdeckte er von neuem, wie leicht das war. Beiläufig fragte er sich, ob er Kopien der Dateien zu Hobbs und Murray auf die Festplatte seines PC kopiert hatte. Er rief sein Verzeichnis ab und sah nach. Es gab keine solchen Dateien.
Überhaupt fand er zu seiner Überraschung neben den Programmen nur wenige Dateien auf der Platte. Aber als er den Rechner abschalten wollte, sah er, daß die Speicherkapazität der Festplatte fast erschöpft war.
Victor kratzte sich am Kopf. Das ergab keinen Sinn, wenn man bedachte, welch eine phantastische Speicherkapazität eine einzige Festplatte hatte. Er versuchte dem Computer eine Erklärung für diesen Widerspruch zu entlocken, aber der Computer widersetzte sich seinen Bemühungen. Schließlich schaltete er das verfluchte Ding erbost ab.
Er überlegte, ob er noch einmal ins Bett gehen sollte, aber ein Blick auf die Uhr zeigte, daß er jetzt ebensogut aufbleiben konnte. Es war schon nach sieben. So ging er nach unten, um sich Kaffee und Frühstück zu machen.
Unterwegs fiel ihm ein, daß er VJ bei seinem Gespräch über den Computer nicht gefragt hatte, warum er die Dateien zu Baby Hobbs und Baby Murray gelöscht hatte. Das mußte er noch tun. In den Dateien herumzustöbern, war eine Sache, sie zu löschen, eine ganz andere.
In der Küche erkannte er, welches weitere Problem ihm auf der Seele lastete: VJs Sicherheit, vor allem auf dem Gelände von Chimera. Daß Philip auf VJ aufpaßte, war schön, aber es lag nahe, daß seine Hilfe ihre Grenzen hatte. Victor beschloß, Able Protection anzurufen; bei der Bewachung des Hauses hatte die Firma unbestreitbar gute Arbeit geleistet. Er würde einen erfahrenen Begleiter für den Jungen beschaffen. Das würde wahrscheinlich teuer werden, aber sein Seelenfrieden war das Geld wert.
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