Das Unglück der kleinen Giftmischerin
hatte, wie der Opa die Mutter anherrschte und bedrohte, so dass sie eine regelrechte Angst um sie ausgestanden hatte. Gleichwohl blieb mir unklar, ob der Opa den Eltern gegenüber nicht doch noch irgendein anderes, verstecktes Druckmittel besaß, um ihnen gegenüber seinen Willen durchzusetzen, denn sie hätten den Kontakt zu ihm ja auch einfach abbrechen können.
Mir war während des Gespäches mit Josefine klar geworden, dass sie sich im letzten Jahr vor dem Tode der Mutter immer mehr auf sich selbst und ihre Innenwelt zurückgezogen hatte: auf ihre Musik, ihre Beschwörungsriten, vielleicht auch auf die paar ruhigen Stunden, in denen sie über Land geritten und ungestört ihren Gedanken nachgegangen war. Ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse, ihre Ängste, wohl auch ihr eigener Ärger und Zorn, das war mehr oder weniger ihre einziger Lebensinhalt, aber auch die Messlatte für ihre Handlungen und Entscheidungen. Nur so lässt sich verstehen, was nun folgte.
Ihr Opa wollte sie nämlich gegen ihren Willen zur Turnierreiterin machen und zwang sie zu ständigen Übungen zu von ihm festgelegten Zeiten. Er respektierte nicht ihre anderen Interessen, vor allem ihre Musik, und veranstaltete bei jedem ihrer Konzertbesuche einen Heidenkrach, indem er nicht nur sie, sondern auch die Mutter dafür zur Rechenschaft zog. So begann Josefine den Opa als die wichtigste Störungsquelle ihres eigenen Lebens und der ganzen Familien zu betrachten. Wenn der Opa weg wäre, so dachte sie, würde alles ganz anders und viel besser, vor allem für sie und die Mutter. Dabei fielen ihr das vom Opa blau geschlagene Auge der Lieblingsoma wieder ein, die Drohungen gegenüber der Mutter, die diesen offenbar völlig hilflos ausgeliefert war, die Erzählung des Vaters, er sei vom Opa mit der Mistforke vom Hof gejagt worden, als er gewagt hatte, um die Hand seiner Tochter anzuhalten. Das alles führte dazu, dass sie sich immer häufiger sagte: Der Opa muss weg. Das bedeutete vorläufig aber nur: Hoffentlich wird er bald sterben.
Ein fester Plan, das zu beschleunigen, berichtete sie mir, wurde daraus noch lange nicht. Zuerst besann sie sich auf ihre schon seit einiger Zeit geübte Strategie, sich gegen Angriffe und unliebsame Vorkommnisse zu wappnen: ihre Beschwörungsrituale. In einer Art Voodoo-Zeremonie »tötete« sie im Kerzenschein die Wachspuppe ihres Großvaters und war enttäuscht, dass ihm daraufhin nichts geschah. Mir sagte sie, es sei wohl nicht die richtige Uhrzeit gewesen und sie hätte auch nicht alle richtigen Sachen dagehabt. Das zeigte, dass sie wenigstens halbwegs an die prinzipielle Wirksamkeit ihrer Hexenkunststücke glaubte. Ein weiteres Schlüsselerlebnis waren die drei Wochen, in denen der Opa in Kur war und sie auf dem Hof, ohne angetrieben oder hinterher mit bösartigen Bemerkungen bedacht zu werden, reiten konnte, wie sie wollte.
Kurz danach fuhr die ganze Familie in Urlaub nach Australien, wo eine der Lieblingsbands von Josefine beheimatet war. Sie hatte mit den Stars nach dem Konzert auch reden können; überhaupt sei der Urlaub eine ziemlich glückliche, ruhige Zeit gewesen. Eines Nachts habe sie geträumt, dass sie mit Tamara, ihrer früheren Busenfreundin, ins Schlafgemach des Opas eingedrungen sei und sie beide ihn erstochen hätten. Danach sei sie einen Moment lang richtig erleichtert gewesen: Es war ihr, als ob nun der Opa wirklich »weg« wäre. Natürlich wusste sie gleichzeitig, dass er noch lebte, und auch, dass sie ihn nicht wirklich erstechen könne. Aber der Gedanke, es nun endlich irgendwie doch zu tun, hätte sie nicht mehr losgelassen. Wieder zu Hause, hätte sie zufällig im Keller, im früheren Chemielaboratorium des Vaters, ein Plastikfläschchen entdeckt, auf dem »Gift« stand, und das eingesteckt. Eine Weile hätte sie es mit sich herumgetragen, auch wenn sie zum Reiten zum Opa fuhr. Dann hätte sie eines Tages etwas davon, nur eine kleine Menge, in die Thermosflasche des Großvaters geschüttet und der hätte daraus auch getrunken. Aber es sei wieder nichts geschehen. Einerseits sei sie darüber erleichtert gewesen, andererseits aber auch verärgert, weil sie wieder einmal nichts Halbes und nichts Ganzes getan hätte. Und eine Woche später hätte sie dann eine große Portion des Pulvers unter die Butter des Opas gemischt, die in einer Dose, neben Brot und Aufschnitt, auf dem Tisch für sie bereitstand.
Josefine berichtete mir, immer noch verhältnismäßig gefasst, von dem, was danach geschah.
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