Das unheimliche Haus
»Die ausgetrocknete Erde wird an den Ufern losgerissen und mitgeschwemmt. Ein Glück, daß wir keinen Anlauf genommen haben, sonst wären wir mit unseren Köpfen in diesem Mist gelandet und vielleicht bis Weihnachten hängengeblieben.« Er wischte mit einer Hand übers Wasser, daß es spritzte. »Und jetzt strampelt euch frei, es geht los.«
Solange sie sich in der Flußmitte stromabwärts treiben ließen, genossen sie das kühle Wasser bis in die Zehenspitzen.
Aber als sie dann bei der unteren Brücke angekommen waren, sich dort für eine Weile an die Pfeiler klammerten und schließlich auf das Kommando von Paul Nachtigall gegen den Strom zurückschwammen, spürten sie bereits nach hundert Metern ihre Muskeln.
Bisher waren sie noch dicht nebeneinander und hintereinander durchs Wasser gepflügt. Doch jetzt zog der Boß zusammen mit Emil Langhans den anderen immer mehr davon. Karlchen Kubatz hielt sich in der Mitte. Sputnik spielte gemeinsam mit Manuel Kohl das Schlußlicht.
Als die Holzbrücke nach einer Biegung wieder in Sicht kam, drosselte Paul Nachtigall sein Tempo und drehte sich auf den Rücken. Emil Langhans kraulte noch an ihm vorbei, aber dann paddelte auch er nur noch mit halber Kraft gegen die Strömung.
Dreißig Meter vor der Brücke hob der Boß den linken Arm senkrecht aus dem Wasser. Er wartete, bis die anderen herangekommen waren, und schwamm dann voraus zum Ufer.
»Ja, hier müßte es sein«, japste Karlchen Kubatz. Sie waren allesamt ziemlich geschafft und wollten nicht durch Schlamm und Morast zurückwaten.
Das Wasser war klar und durchsichtig. Zwischen Algen und Schilf entdeckten sie ein Stück festen Sandboden und eine Stelle mit großen Steinplatten.
»Hier sind war doch immer reingegangen, wieso heute nicht?« murmelte Emil Langhans. »Wir müssen behämmert gewesen sein.« Er tastete sich mit den Fußspitzen Schritt für Schritt näher zur Böschung, und die anderen machten es ihm nach.
Als sie wieder auf festem Boden waren, schüttelten sie wie junge Hunde das Wasser aus ihren Haaren. Dann bogen sie ihre Oberkörper abwechselnd mal nach vom und hinten, um ihre Muskeln zu lockern und ihren Atem zu beruhigen. Als sich Paul Nachtigall zum elften oder zwölften Mal mit ausgestreckten Armen wieder aufrichtete, entdeckte er sie. »Wir haben Besuch«, stieß er hervor, beugte sich wieder und streckte sich wieder zurück.
Die Maxen kamen aus dem Schatten der Holzbrücke, mindestens zehn, und Ulli Buchholz in ihrer Mitte. Nach ein paar Schritten blieben sie stehen. Die Sonne war hinter ihnen, und im Gegenlicht wirkten ihre regungslosen Silhouetten so bedrohlich wie eine Horde von Banditen in einem kitschigen Spaghetti-Western. Zu allem Überfluß wälzte sich hinter ihnen auch noch die Amper mit Sonnenkringeln auf ihrem Wasser. Unter den grasenden Kühen und Pferden steckten einige ihre Schnauzen in die Luft, als ob sie Unheil wittern würden. In Wirklichkeit rochen sie wohl schon, daß ein Gewitter im Anrollen war.
»Die Lage ist mulmig«, flüsterte Karlchen Kubatz. Er schlug sich die Arme um den Körper und schüttelte gleichzeitig seine Beine aus. »Verdammter Mist, sie haben unsere Fahrräder und Klamotten im Rücken.«
Emil Langhans zischte: »Laßt doch die dämliche Turnerei. Wenn die uns jetzt noch abnehmen, daß wir sie nicht entdeckt haben, sind sie dümmer, als die Polizei erlaubt.«
»Stimmt«, sagte Paul Nachtigall und drehte sich langsam um.
Die Glorreichen rückten dichter zusammen.
Eine ganze Weile standen sich die verfeindeten Schüler schweigend gegenüber.
»Wie die Franzosen und Österreicher bei Austerlitz«, wisperte Sputnik.
Dann setzte sich Ulli Buchholz in Bewegung, und seine Maxen blieben dicht bei ihm.
Die Glorreichen Sieben rührten sich nicht vom Fleck.
Als der Junge mit der kurzen Lederjacke bis auf zehn Meter herangeschlendert war, blieb er stehen. Er grinste breit, und die Visagen um ihn herum grinsten mit.
»So sieht man sich wieder«, sagte der Anführer der Maximilanschüler.
»Was wollt ihr?« fragte der Boß der Glorreichen.
»Bloß eine kleine Unterhaltung, sonst nichts.«
Emil Langhans legte den Kopf schief. »Quatschen wir also übers Wetter«, schlug er vor. »Aber selbstverständlich können wir auch von was anderem plaudern. Von den Ziegen in Marokko zum Beispiel. Sie sollen sich ihr Futter in den Bäumen zusammensuchen und springen dabei von einem Ast auf den anderen.«
»Schick mir ‘ne Postkarte, wenn dir deine Witze ausgegangen
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