Das unheimliche Medium
Bewußtlosen schwer. Mit einiger Mühe schaffte ich es, ihn über die rechte Schulter zu wuchten. Mit der anderen Hand hielt ich ihn fest. Noch immer stand ich dem Ortsende näher als der Ortsmitte. Ich schaute zurück, ohne jedoch die Schafe oder den Hund als Verfolger ausmachen zu können. Ob sie sich auch in Zukunft vor dem Ort aufhalten würden, war fraglich.
Gewettet hätte ich darauf nicht.
Noch immer wirkte Weldon wie ausgestorben. Keiner verließ das Haus.
Niemand betrat den Gehsteig, die Straße oder auch nur seinen Vorgarten. Diese Totenruhe machte mir zu schaffen, weil sie eben nicht normal war. Hier war etwas Unerklärliches und Unheimliches geschehen, und ich ging davon aus, daß es noch nicht beendet war. Auch mir selbst ging es nicht gut. Noch immer breitete sich im Kopf das dumpfe Gefühl aus. Es kam mir vor, als wäre es eine mit Watte gefüllte Leere. Dann der Druck des bewußtlosen Körpers. Ich war froh, wenn ich ihn ablegen konnte.
Dazu mußte ich zunächts den Vorgarten durchqueren. Hier hatte niemand Hand angelegt. Hier wucherten die Pflanzen zwischen den karg aussehenden Büschen. Der Weg war kaum zu sehen. Zudem lag er im Schatten zweier Bäume.
Dafür schimmerte das Licht durch die Fenster des alten Hauses. Das Haus wirkte wie ein viereckiger Klotz. Es war ziemlich groß. Das Dach schloß praktisch mit der Mauer ab. Vor der rechten Hausseite stand ein mit Wasser gefüllter Steintrog.
Ich stellte mich vor die Tür und suchte nach einer Klingel oder Schelle.
Sie befand sich an der linken Seite.
Mit dem Daumen drückte ich den Knopf. Ein schrilles Geräusch war zu hören, danach Schritte, und ich war gespannt, wer mir da öffnen würde…
Zwei Stunden zuvor!
Behutsam wurde die Tür des Kinderzimmers aufgezogen, so, als wollte der Eintretende die Person nicht stören. Aber Nora Shane hatte günstig gesessen und schon erkannt, daß sie gestört werden würde. Die Zwölfjährige sagte nichts, sie schwang sich nur auf dem Drehstuhl etwas zur Seite und tat, als wäre sie beschäftigt, wobei sie gegen den Bildschirm des Monitors schaute, auf dem eine grüne Graphik zu sehen war.
Jemand klopfte von innen gegen die Tür. Die weiche Frauenstimme erreichte Noras Ohren wenig später. »Ich wollte dir nur Bescheid geben, daß wir jetzt gehen, Kind.«
Nora drehte sich. Sie lächelte. Ihre Tante Dinah stand in der offenen Tür.
Über ihre Schulter schaute Onkel Gregory hinweg und lächelte. Er war ein Mann, der fast immer lächelte. Er war viel zu dick, manche sagten feist. Er liebte das Essen, das Leben, er kümmerte sich nicht um seine Figur und gehörte zu den Leuten, denen es eigentlich immer gutging, weil sie sich keine Sorgen machten.
Nora fand, daß Dinah nicht zu ihm paßte. Zumindest äußerlich nicht.
Hager, die Haare blond, eine unvorteilhafte Brille und auch zuviel Schmuck. Aber sie wollte sich nicht beschweren, schließlich hatten die beiden sie nach dem Tod ihrer Eltern aufgenommen. Daß zudem Zwölfjährige kritisch reagierten beim Aussehen der Erwachsenen, das war normal. Da wurden die Eltern verglichen und kamen meistens schlechter weg als die anderen Erwachsenen.
»Ist gut, Tante Dinah.«
»Und was machst du?«
Nora hob die Schultern. »Weiß noch nicht. Ich werde am Computer spielen, glaube ich.«
Dinah Shane hob den rechten Zeigefinger. »Aber nicht zu lange. Dieses lange Starren auf den Bildschirm ist nicht gut für die Augen, Kind.«
»Aber Tante«, stöhnte sie. »Man hat heute Schirme entwickelt, die nicht mehr so ermüdend sind. Ich kenne mich da aus, wirklich. Du brauchst keine Angst zu haben.«
»Ja, das habe ich auch gehört«, sagte Gregory. Er unterstützte Nora immer, auch jetzt verzog er seinen Mund zu einem breiten Grinsen und nickte heftig.
»Hör du auf, Greg! Du stehst nur auf ihrer Seite. Aber ich meine es gut mit dem Kind.«
»Das weiß ich ja, Tante.«
»Kann spät werden«, sagte ihr Onkel. »Wenn etwas sein sollte, rufst du an. Die Telefonnummer habe ich dir ja gegeben.«
»Klar.«
»Hast du sie denn noch?«
»Tante Dinah, ich vergesse so etwas nicht. Wenn du den Zettel meinst, den habe ich nicht.« Sie lachte hoch, als sie das erschreckte Gesicht der Frau sah. »Aber ich habe sie in meinem Computer gespeichert. Das ist sicherer.«
Dinah Shane schüttelte den Kopf. »Immer wieder dieser neumodische Kram. Schlimm ist das.«
»Ich finde es super.«
Greg Shane kannte seine Frau. Bevor sie sich zu einer Diskussion hinreißen ließ, tippte er
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