Das Unkrautland | Auf den Spuren der Nebelfee
Fahrradlenker neben der Hupe baumelten ihre Pilotenmütze sowie der Rest ihrer Flugausrüstung. Sie schwang das Einkaufsnetz über die Schulter, stülpte die langen Damenhandschuhe bis über die Ellbogen und setzte ihre Mütze auf. Zuversichtlich schritt sie durch den Vorhang aus der Hexenküche.
Bevor sie jedoch die Haustür ganz öffnete, spähte sie erst einmal durch den Türspalt ins Freie. Der gute Ruf des vorbildlichen Ladens wäre schließlich schlagartig ruiniert, wenn ein Kunde sie in dieser Montur erblicken würde. Doch mittlerweile war es spät in der Nacht und weit und breit war niemand zu sehen. Primus wunderte sich, dass es bereits dunkel war, aber schließlich hatte er nach dem Schlag mit der Fliegenklatsche ja eine geraume Zeit ohnmächtig im Glas verbracht.
Als sie aus dem Haus kamen, konnte er das Zirpen der Grillen hören und die frische Waldluft riechen. Damit war es allerdings schnell wieder vorbei, als Plim den knatternden Besen startete.
»So«, rief sie und zog die Rennfahrerbrille auf. »Dann wollen wir uns das Steinchen einmal ansehen!«
Mit einer stinkenden Rauchwolke schoss der Rennbesen aus der Lichtung in den Himmel.
Plim flog schnurstracks über den Finsterwald nach Süden. Wie ein schwarzer Teppich lag der Wald unter ihnen und dehnte sich in alle Richtungen aus. Es war jedoch nicht besonders schwer, sich aus der Luft zu orientieren, da man das südliche Bleigebirge gut am Horizont erkennen konnte. Im Sausetempo ging es quer über den Wald. Das Einkaufsnetz flatterte im Wind, dass sich Primus fast der Magen umdrehte. Schließlich erreichten sie das Ufer des Mondwassersees und bogen leicht nach Westen ab. Schon von weitem war der alte Turm zu erkennen. Plim drückte den Besen nach unten und flog einige Male um den Hügel herum. Dann peilte sie eines der offenen Fenster am Fachwerkhaus an, bevor sie zum Landeanflug überging. Geschickt steuerte sie auf das Fenster zu, zog den Kopf ein und bremste im Kaminzimmer mit knallendem Auspuff und einer dicken Rauchwolke ab.
Hustend fächerte sie mit der Hand den Qualm zur Seite. Sie schob die Rennfahrerbrille auf die Stirn und stieg vom Besen. Plim war ein wenig schwarz um die Nase, was durch die Abdrücke der Brille noch deutlicher zur Geltung kam. Neugierig schaute sie sich im Kaminzimmer um.
»Nicht schlecht«, nickte sie, als sie den großen Sessel begutachtete. »Ein bisschen rustikal für meinen Geschmack, aber nicht übel. Oh, da liegt ja sogar der neue Zauberzirkel, wie schön!«
Ohne mit der Wimper zu zucken, griff sie sich Primus’ brandneues Magazin, rollte es zusammen und steckte es neben ihn in das Einkaufsnetz. Dieser war sprachlos über so viel Frechheit.
»Was hattest du vorhin gesagt, wo ist die Truhe?« Aber Plim wartete gar nicht erst auf eine Antwort. »Unter dem Fenster im Dachgeschoss?« Sie blickte zum Geländer nach oben. »Wo mag denn hier die Treppe sein?«
Schnell öffnete sie die Tür, hinter der die staubige Turmküche lag. »Fast wie bei mir zu Hause«, sagte sie, als sie die vielen rostigen Pfannen und Kochtöpfe sah.
Dann aber erspähte sie die Trittleiter, die zu der Luke nach oben führte. Flink huschte sie durch die Küche und trippelte die knarrenden Sprossen hinauf. Vorsichtig hob sie die Luke an und äugte misstrauisch in das Dachgeschoss. Durch die beiden Dachfenster war es im Obergeschoss viel heller als in der Küche. Plim hatte keine Schwierigkeiten, die bauchige Truhe zu entdecken, die genau neben der Pendeluhr stand.
»Jetzt bin ich einmal gespannt«, sagte sie und schlüpfte auf den Dachboden.
Mit einem Ruck hatte sie die Truhe aufgeklappt. Ihre Augen begannen zu leuchten, als sie den milchigen Stein erblickte. Zwar leuchtete dieser nicht, wie er es angeblich in der Nacht zuvor getan hatte, aber dennoch stockte ihr der Atem.
»So, Plim«, rief Primus. »Jetzt nimm das blöde Ding mit und schraub sofort den Deckel runter.«
»Nicht so hastig«, erwiderte sie, als sie den Stein aus der Truhe nahm. »Erst will ich etwas ausprobieren.«
Sie schritt zum Dachfenster und blickte zum Nachthimmel hinauf. Funkelnd strahlten die Sterne durch das offene Fenster ins Dachzimmer. Plim trat zur Seite. Sie stellte sich neben das Fenster und hielt den Stein mit beiden Händen in das Sternenlicht. Feierlich atmete sie ein.
Dann ließ sie den Stein plötzlich los und zog ihre Hände weg. Primus traute seinen Augen nicht. Der Stein fiel nicht krachend zu Boden, sondern schwebte frei im Raum wie von einer
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