Das unsagbar Gute
Widerstand, welcher Art auch immer, gebrochen werden, und zwar nachhaltig, für immer. Das gelang, wenn überhaupt, nur durch Terror. Hier das rechte Maß zu finden, war diffizil …
Charly wurde aus seinen Überlegungen gerissen. Im Gesichtsfeld war etwas aufgetaucht, das dort auf keinen Fall auftauchen durfte.
Sami.
Charly kannte Sami nicht, er hatte ihn nie zuvor gesehen. Er hatte auch nichts gegen den Kater persönlich, er konnte nur die ganze Art nicht leiden. Art im biologischen Sinn. Felis silvestris catus. Charly war hochallergisch gegen Katzenhaare. Sie lösten Asthmaanfälle bei ihm aus. Sami blieb stehen und betrachtete den unbekannten Menschen, der dort auf dem Fußboden lag. »Geh weg!«, rief Charly, »hau ab!«
Katzen soll man nichts befehlen.
Es mag ja sein, dass sie wirklich nicht verstehen, was man ihnen sagt. (Obwohl Millionen Katzenhalterinnen und -halter in aller Welt das Gegenteil bezeugen würden, aber wir wollen hier keine Debatte mit der Neurozoologie anfangen, das bringt ja nichts.) Was sie aber sicher mitkriegen, die Katzen, ist der imperativische Ton. Den können sie nicht leiden. Sie hassen Lärm und – bildlich gesprochen – alle Rufzeichen am Satzende. Sie haben ihren Standpunkt schon vor Jahrtausenden im alten Ägypten klargemacht und nicht gemacht, was die Tochter des Pharao von ihnen wollte. Nicht einmal das, was der Pharao selber verlangt hat. Wie wahrscheinlich ist es da, dass ihr Nachfahre den Befehlen eines Wiener Drogenhändlers ohne Schulabschluss nachkommen wird? Eben. Und noch etwas muss man bedenken: Wie alle Raubtiere hatte auch Sami ein untrügliches Gespür für den Vitalzustand anderer Lebewesen. Wenn diese Lebewesen sehr viel größer sind als der Kater selbst, hängt sein Leben buchstäblich von der korrekten Einschätzungab. Mit dem Menschen, der dort auf dem Boden lag, stimmte etwas nicht. Er bewegte sich nicht, wie Menschen das tun, wenn sie im Vollbesitz ihrer Kräfte sind. Abgesehen davon, dass er eben die Horizontale eingenommen hatte, was Menschen viel seltener tun als Katzen und wenn, dann nur auf spezifischen Unterlagen (Bett, Sofa). Grund genug, sich die Sache näher anzuschauen.
»Geh weg!«, schrie Charly. »Bitte, geh weg. Hilfe! Hilfe!« Das war nicht der letzte Hilferuf Charly Koraks, aber der lauteste. Die folgenden waren viel leiser, weil er Schwierigkeiten mit dem Ausatmen hatte. Er versuchte Sami mit den Beinen wegzustoßen. Weil die Beine gefesselt waren, stellte er sich dabei so ungeschickt an, dass von diesen Tritten keine Bedrohung ausging. Sami begriff: ein neues Spiel, dafür war er immer zu haben. Also umtänzelte er den am Boden sich im Kreis drehenden Korak, der noch dazu ein rhythmisches Pfeifen hören ließ, interessant. Bei den raschen Bewegungen Samis flogen immer mehr mikroskopisch feine Haarpartikel in der Luft herum … der Inhalator. Der Inhalator würde ihn retten. Der lag auf dem Boden. Charly bekam ihn hinter dem Rücken zu fassen. Aber am Rücken nutzte er nichts. Er nutzte gar nichts. Ein Inhalator fern des Mundes ist für einen Asthmatiker so nützlich wie ein Schuh oder eine Kleiderbürste.
Man darf es ruhig aussprechen: Einen Teil seiner vielen Sünden hat Charly Korak noch hinieden gebüßt. In den letzten fünf Minuten seines Lebens.
*
Der Suada des Manfredo Gonzales Leupold hörte Dr. Nowak nur noch mit halbem Ohr zu. Er wird ihn losbinden, dachte er. Und einen Augenblick später haut mich dieses Tier zusammen. Spitalsreif, so heißt das doch immer. Wobei diese Herren danndenken, ich könne noch froh sein, wenn ich mit dem Leben davonkomme. Sein Gesicht rötete sich, der Schweiß brach ihm aus. Manfredo deutete das als Angst und hatte keine bessere Idee, als auch noch in diese Angstkerbe zu hauen. »Ja, ich weiß nicht, ob ich den Charly von seiner Rache abhalten kann – das sag ich dir ganz offen. Ich kenn ihn schon lang, aber was du dir geleistet hast, das hat noch keiner mit ihm abgezogen! Ich weiß nicht, was passiert, wenn ich ihn losbinde …«
»Dann find’s doch raus«, sagte Dr. Nowak. Seine Stimme klang ruhig, weder zittrig noch hoch, das irritierte Manfredo. Der Chemiker sah aus, als ob er Angst hätte, aber Dr. Nowak hatte keine Angst, sondern eine Sauwut. Ich leg sie alle beide um, dachte er. Den Totschläger sowieso. Und den Hysteriker gleich hinterher. Ein einziges blödes Wort und er ist dran …
Sie gingen hinüber in die Diele, Manfredo voran mit einer Küchenschere. Dr. Nowak
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