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Das Unsterblichkeitsprogramm

Das Unsterblichkeitsprogramm

Titel: Das Unsterblichkeitsprogramm Kostenlos Bücher Online Lesen
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eine Gestalt, die etwas zu häufig am Rand meines Sichtfeldes auftauchte. Der Mann war gut. In einem dichter bevölkerten Stadtteil wäre er mir vermutlich entgangen, aber hier gab es zu wenige Fußgänger, als dass er sich hinreichend tarnen konnte.
    Das Tebbit-Messer steckte in einer Scheide aus weichem Leder, die ich mir um den Unterarm geschnallt hatte und die mit einer neuralen Sprungfeder arbeitete. An die Pistolen kam ich nicht heran, ohne meinem Beschatter zu verraten, dass ich ihn bemerkt hatte. Ich überlegte, ob ich versuchen sollte, ihn abzuschütteln, doch schon im nächsten Moment verwarf ich die Idee wieder. In dieser Stadt kannte ich mich nicht aus, in meinem Gehirn schwappten diverse chemische Rückstände, und ich trug zu viel Last mit mir herum. Dann sollte der Unbekannte eben mit mir einkaufen gehen. Ich ging etwas schneller und kehrte allmählich ins Geschäftsviertel zurück, wo ich einen teuren Kurzmantel aus roter und blauer Wolle entdeckte, mit Totempfahlgestalten im Inuitstil, die sich gegenseitig über den Stoff jagten. Er war nicht ganz das, was ich im Sinn gehabt hatte, aber er war warm und hatte zahlreiche geräumige Taschen. Als ich meinen Kauf an der Glasfront des Ladens bezahlte, konnte ich einen flüchtigen Blick auf das Gesicht meines Beschatters werfen. Jung, weiße Hautfarbe, dunkles Haar. Ich kannte ihn nicht.
    Wir überquerten gemeinsam den Union Square, hielten an, um eine weitere Demonstration gegen die Resolution 653 zu beobachten, die eine Straßenecke besetzte und allmählich ausdünnte. Die Parolen verhallten, die Menschen zerstreuten sich, und das metallische Gebell der Lautsprecher klang immer klagender. Ich hätte die Gelegenheit nutzen können, mich in der Menge zu verlieren, aber zu diesem Zeitpunkt war ich daran gar nicht mehr interessiert. Wenn der Verfolger mehr vorgehabt hätte, als mich zu beobachten, hätte er in der begrünten Einsamkeit der Hügel die besten Chancen dazu gehabt. Hier war viel zu viel los, um einen Angriff riskieren zu können. Ich steuerte quer durch die Reste der Demonstration, wehrte diverse Flugblätter ab und ging dann in südlicher Richtung zur Mission Street und zum Hendrix weiter.
    Auf der Mission geriet ich versehentlich in den Senderadius eines Straßenverkäufers. Sofort wurde mein Kopf mit Bildern überflutet. Ich bewegte mich durch eine Gasse, die von zahllosen Frauen gesäumt wurde, deren Kleidung mehr offenbarte, als wenn sie nackt gewesen wären. Stiefel, die die Beine oberhalb der Knie in Stücke verkäuflicher Haut verwandelten, Schenkel mit pfeilförmigen Bändern, die den Weg zeigten, Stützvorrichtungen, die die Brüste hoben und präsentierten, schwere, eichelförmige Anhänger, die sich in schweißbeperlte Spalten kuschelten. Zungen zuckten hervor, leckten über Lippen, die kirschrot oder gruftschwarz bemalt waren, Zähne wurden herausfordernd gefletscht.
    Ein kühler Schwall durchströmte mich und löste die fiebrige Begierde aus, worauf die posierenden Körper nur noch abstrakte Darstellungen der Weiblichkeit waren. Ich maß Winkel und Umfänge wie eine Maschine, kartografierte die Geometrie von Haut und Haar, als wären die Frauen eine unbekannte Pflanzenspezies.
    Betathanatin. Der Schnitter.
    Der letzte Abkömmling einer weitläufigen chemischen Familie, die zu Anfang des Jahrtausends für Nahtod-Forschungsprojekte entwickelt worden war. Betathanatin führte den menschlichen Körper so nahe wie möglich an den Todeszustand heran, ohne dass es zu größeren Zelldefekten kam. Gleichzeitig induzierten Kontrollstimulanzien im Schnittermolekül die klinische Funktion des Intellekts, wodurch die Forscher in der Lage gewesen waren, die künstlich ausgelöste Todeserfahrung ohne die überwältigenden Gefühle zu erleben, die ihre Fähigkeit der objektiven Beobachtung beeinträchtigten. In geringeren Dosen erzeugte der Schnitter eine kalte Gleichgültigkeit gegenüber Dingen wie Schmerz, Erregung, Freude oder Trauer. All das Desinteresse, das Männer seit Jahrhunderten im Angesicht der nackten weiblichen Gestalt vorgegeben hatten, war real verfügbar, in Form einer kleinen Kapsel. Das Mittel war geradezu maßgeschneidert für den Markt jugendlicher männlicher Kunden.
    Außerdem war es eine ideale militärische Droge. Vom Schnitter getragen konnte ein Rachemönch aus Godwins Traum ein Dorf voller Frauen und Kinder abfackeln und nichts weiter empfinden als Faszination, wie die Flammen das Fleisch von den Knochen schmolzen.
    Das

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