Das Urteil
Nein, er war keinesfalls süchtig. Er konnte jederzeit aufhören, wenn er es wollte. Er rauchte, weil es ihm Spaß machte. Er spielte viermal die Woche Tennis, und seine alljährliche Routineuntersuchung ergab nichts, worüber man sich Sorgen machen müßte.
Eine Reihe hinter Taunton saß Derrick Maples, zum erstenmal im Gerichtssaal. Er hatte das Motel nur Minuten nach dem Bus verlassen und eigentlich vorgehabt, den Tag mit Arbeitssuche zu verbringen. Jetzt träumte er vom großen Geld. Angel bemerkte ihn, sah aber nur Jankle an. Derricks plötzliches Interesse für den Prozeß war verwunderlich. Seit sie isoliert worden waren, hatte er nichts anderes getan, als sich zu beklagen.
Jankle beschrieb die verschiedenen Marken, die sein Konzern herstellte. Er verließ den Zeugenstand und trat vor eine vielfarbige Tafel mit allen acht Marken, neben denen der jeweilige Teer- und Nikotingehalt verzeichnet war. Er erklärte, weshalb manche Zigaretten Filter haben, andere dagegen nicht, und daß bei manchen der Teer- und Nikotingehalt höher ist als bei anderen. Es lief alles auf die freie Entscheidung hinaus. Er war stolz auf seine Produkte.
Damit war ein kritischer Punkt erreicht, und Jankle erklärte ihn gut. Durch das Angebot einer so großen Auswahl an Marken stellte Pynex es jedem Verbraucher frei, selbst zu entscheiden, wieviel Teer und Nikotin er haben wollte. Es war alles eine Sache der freien Entscheidung. Entscheiden Sie sich für den Gehalt an Teer und Nikotin. Entscheiden Sie, wieviel Zigaretten Sie pro Tag rauchen wollen. Entscheiden Sie, ob Sie inhalieren oder nicht. Entscheiden Sie ganz bewußt, was Sie Ihrem Körper mit Zigaretten antun wollen.
Jankle deutete auf die leuchtende Zeichnung einer roten Schachtel Bristol, der Marke mit dem zweithöchsten Teer- und Nikotingehalt. Er gab zu, daß, wenn Bristol ›mißbraucht ‹ wurde, Schäden die Folge sein konnten.
Zigaretten waren verantwortungsvolle Produkte, sofern sie in Maßen benutzt wurden. Wie viele andere Produkte - Alkohol, Butter, Zucker und Handfeuerwaffen, um nur ein paar zu nennen - konnten sie gefährlich werden, wenn man sie mißbrauchte.
Derrick gegenüber, auf der anderen Seite des Gangs, saß Hoppy, der hereingekommen war, um sich einen raschen Überblick über den Verlauf des Prozesses zu verschaffen. Außerdem wollte er Millie zulächeln, die sich freute, ihn zu sehen, sich aber gleichzeitig über sein plötzliches Interesse an dem Prozeß wunderte. Heute abend durften die Geschworenen ihre persönlichen Besuche empfangen, und Hoppy konnte es kaum abwarten, drei Stunden in Millies Zimmer zu verbringen, wobei Sex das letzte war, was er im Sinne hatte.
Als Richter Harkin die Sitzung zum Lunch unterbrach, beendete Jankle gerade seine Ansichten über die Werbung. Natürlich gab sein Konzern massenhaft Geld dafür aus, aber nicht soviel wie Bierkonzerne oder Autokonzerne oder Coca-Cola. Ohne Werbung konnte man in einer vom Konkurrenzkampf beherrschten Welt nicht überleben, einerlei, um welches Produkt es sich handelte. Natürlich sahen Kinder die Anzeigen seines Konzerns. Wie kann man eine Reklametafel so gestalten, daß Kinder sie nicht sehen? Wie kann man Kinder daran hindern, die Zeitschriften zu betrachten, die ihre Eltern abonniert haben? Unmöglich. Dann gab Jankle bereitwillig zu, daß er die Statistiken gesehen hatte, denen zufolge fünfundachtzig Prozent der rauchenden Jugendlichen die drei Marken kaufen, für die am stärksten geworben wird. Aber das tun die Erwachsenen auch! Noch einmal: Man kann keine Werbekampagne planen, die sich an Erwachsene richtet, ohne daß Jugendliche sie sehen.
Fitch verfolgte Jankles Aussage von einem Platz im Hintergrund aus. Rechts neben ihm saß Luther Vandemeer, Generaldirektor von Trellco, dem größten Tabakkonzern der Welt. Vandemeer war der inoffizielle Anführer der Großen Vier und der einzige, den Fitch ausstehen konnte. Vandemeer seinerseits hatte die höchst verwunderliche Gabe, daß er Fitch mochte.
Sie verspeisten ihren Lunch bei Mary Mahoney's, allein an einem Tisch in einer Ecke. Sie waren erleichtert über den Erfolg, den Jankle bisher gehabt hatte, wußten aber, daß das Schlimmste noch bevorstand. Barkers Artikel in Mogul hatte ihnen den Appetit verdorben.
»Wieviel Einfluß haben Sie auf die Jury?« fragte Vandemeer, in seinem Essen herumstochernd.
Fitch hatte nicht die Absicht, wahrheitsgemäß zu antworten. Das wurde auch nicht von ihm erwartet. Seine schmutzige Arbeit wurde
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