Das Urteil
vorkam -, dann hatte die ganze Sache wenig Aussicht auf Erfolg.
»Tja, es gibt eine Menge Fragezeichen, das ist das Problem. Am Abend, als die Fotos gemacht wurden« - Feeney deutete auf die Akte -, »hatte Mrs. Lewes die Schnauze voll, wollte sie sofort nach der Entlassung aus dem Krankenhaus bei uns erscheinen und Anzeige erstatten und den Übeltäter hinter Schloß und Riegel bringen.«
»Und was ist passiert? Hat er ihr einen Besuch abgestattet?«
»Hätte er, aber er saß in U-Haft. Aber natürlich hat er ihr, kaum daß er auf Kaution draußen war, Rosen und Pralinen gekauft, gesagt, daß es ihm leid tat. Diesmal allerdings war sie nicht so sicher, ob sie ihm glauben soll, hat aber solche Angst vor ihm, daß sie nicht gegen ihn aussagen will.«
»Logisch. Sehr vernünftig.«
Feeney hob einen Finger. »Aber«, sagte er, »sie sagt, sie wird aussagen, wenn wir ihr eine gerichtliche Vorladung schicken.«
»Was für eine Staatsbürgerin! Das ist eine prächtige Geschichte. Und Sie wollen von mir wissen, was ich tun würde?«
»Ich weiß, was Sie tun würden, Dean. Ich frage mich nur, welche Begründung Sie vorbringen würden. Wir haben eine dritte Tatwiederholung, wir haben eine Zeugin, die sagt, daß sie aussagen wird. Wie kann man die Sache einfach niederschlagen?«
»Sie schlagen die Sache nicht nieder, Tony. Sie bringen das Verfahren in Gang, halten jeden Tag ihr Händchen und versuchen sich nicht allzusehr zu grämen, wenn sie zum Prozeßtermin nicht erscheint.«
David Freemans Büro befand sich in der vorderen Ecke des alten Gebäudes in der Sutter Street, wenn man ein Stockwerk auf der Treppe mit dem reichverzierten Geländer hochgestiegen war. Im Parterre gab es einen gemütlichen Empfangsbereich, ein Konferenzzimmer, das auf einen kleinen Innenhof mit efeuberankten Ziegelmauern hinausging, dazu eine kleine juristische Fachbibliothek. Vor vier Jahren hatte Freeman einige Umbauten vornehmen lassen und im Parterre eine Menge Glas eingebaut, was dem ganzen Haus eine luftige Atmosphäre verlieh.
Oben im ersten Stock vor Freemans Höhle hielt Phyllis Wells die Heuler in Schach, wobei die Heuler die Codebezeichnung der beiden für die angestellten Anwälte war.
Phyllis war jetzt schon zweiunddreißig Jahre bei David angestellt, und in dieser Zeit hatte sie diverse Anwälte kommen und gehen sehen - sie fingen in der Kanzlei als beflissene junge Leute frisch von der Hochschule an, die hofften, am Rockzipfel des brillanten David Freeman zu Ruhm und Ehren zu gelangen, sich einen Namen in der Stadt und vielleicht darüber hinaus zu machen, binnen angemessener sechs oder sieben Jahre zum Sozius aufzusteigen. Die meisten hielten keine zwei Jahre durch.
Nicht ein einziger war bei der Stange geblieben und zum Sozius aufgestiegen. Sie arbeiteten ihre zwölf Stunden am Tag, in der Nacht und am Wochenende, schrieben ihre Schriftsätze, sammelten sogar Prozeßerfahrung und zogen dann weiter, sei es, daß sie eine eigene Kanzlei aufmachten oder zu einer der großen Anwaltskanzleien im Bankenviertel wechselten oder die Juristerei ganz aufgaben.
Der Grund war: David Freeman hatte keine Lust auf einen Sozius. Nicht umsonst hatte er seine Kanzlei David Freeman & Associates genannt. Daran würde sich nichts ändern.
Er delegierte höchst ungern. Nein, Phyllis wußte, es war mehr als das. Er war unfähig zu delegieren. Weshalb die ganze Sache mit Dismas Hardy ihrer Ansicht nach ein wenig ungewöhnlich war - Hardy übernahm Arbeiten, die Freeman immer eigenhändig erledigt hatte. Freeman schien sogar vergleichsweise zufrieden zu sein mit den Ergebnissen, die Hardy beibrachte. Das war so ungewöhnlich, daß es Phyllis beunru higte. Sie fragte sich, ob David vielleicht krank sei. Und ob er es ihr mitteilen würde, falls dem so wäre.
Nicht, daß sie etwas gegen Hardy gehabt hätte. Er verbreitete eine angenehme Stimmung. Er sah adrett aus, etwas zerzaust vielleicht, nicht zu mager. Manchmal hatte er für ihren Geschmack ein bißchen zu schnell eine witzige Bemerkung parat, aber sie hatte weiß Gott genügend humorlose Anwälte gesehen, die durch diese Räume spaziert waren. Es war erfrischend, einen zu treffen, der sich nicht so ernst zu nehmen schien.
Freeman hatte Anweisungen gegeben, Hardy zu sich vorzulassen, wenn Hardy sich mit ihm unterhalten oder beraten mußte, sogar nur einen Besuch machen wollte. Natürlich war er eigentlich kein Angestellter, keiner der Heuler. Er war noch nicht einmal Teil der Kanzlei. Er
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