Das Urteil
- hatte in Kalifornien seit der im Juni 1991 erfolgten Verabschiedung der Wahlinitiative 115 massive Änderungen erlebt. Vor dieser Zeit war beiden Gerichtsparteien ein beträchtlicher Spielraum bei den Fragen eingeräumt gewesen, die sie potentiellen Geschworenen stellen konnten. Wie verdienten sie ihren Lebensunterhalt? Wie viele Geschwister hatten sie? Welche Hobbies pflegten sie? Ihre Lieblingsbücher und/oder Lieblingsfilme? Mochten sie kleine Hunde? Katzen? Goldfische? Beinahe alles war zulässig, sofern es dazu dienen mochte, den Charakter eines möglichen Geschworenen zu erhellen. Oftmals waren die Fragen nur notdürftig verkleidete Ansprachen, um mögliche Geschworene zu beeinflussen. Und aus all den Gründen konnte die Auswahl einer Jury bei Fällen wie diesem, wo es um die Todesstrafe ging, gut und gerne zwei Monate dauern, bisweilen sogar länger.
Seit der Verabschiedung der Wahlinitiative 115 übernahm dagegen der Richter die Durchführung des voir dire, und damit ging die ganze Sache - wie die Wahlinitiative es beabsichtigt hatte - weitaus schneller über die Bühne. Beide Gerichtsparteien konnten dem Richter bzw. der Richterin eine Liste von Fragen geben, die sie gerne gestellt wüßten, doch oft wurden diese ignoriert. Analog dazu hatte Freeman Villars gebeten, ob er nicht im Fall von Jennifer Witt manchen der möglichen Geschworenen direkt eigene Fragen stellen dürfe. Er hatte eine abschlägige Antwort bekommen.
Die Vertreter der Anklage und der Verteidigung konnten nach wie vor ihre zwanzig pauschalen Ablehnungen - das Recht, einen potentiellen Geschworenen aus beliebigen Gründen oder auch gar keinem Grund auszuschließen - in die Waagschale werfen, aber die Besetzung der Jury lag jetzt erheblich klarer außerhalb der erkennbaren Einflußnahme bei der Gerichtsparteien. Es war jetzt die Show des Richters oder der Richterin.
Die Geschworenen wurden befragt, ob sie in den Zeitungen über den Fall gelesen hatten, ob sie für die Zeit eines dreimonatigen Verfahrens zur Verfügung stünden und - vielleicht die wichtigste Frage - ob sie im entsprechenden Falle für die Todesstrafe stimmen könnten. Aus der Reihe der ersten achtzig potentiellen Geschworenen würden nach vielleicht drei Tagen Anhörung eventuell vier in Frage kommen, und diese würden für Ende September erneut einbestellt. Damit wurden sie Teil der Gesamtmenge, aus der man die zwölf Geschworenen und sechs Nachrücker wählen würde. Und dann würde Villars die nächsten achtzig Kandidaten anfordern.
Sah man einmal von der halbmondförmigen Lesebrille ab, entsprach Richterin Villars dem Bild, das sich Hardy von einer ältlichen Jeanne d'Arc machte. Mit ihrem Helm aus grauem Haar über einem gutmütigen und hübschen Gesicht mochte Villars einem zufälligen Passanten auf der Straße wie die Rektorin einer Grundschule vorkommen, gerecht, aber prinzipientreu, vielleicht sogar mit einer schalkhaften Ader.
Aber wie Freeman zu Hardy gesagt hatte, nachdem ihnen Villars für diesen Prozeß zugewiesen worden war, konnte der Augenschein trügen. Villars war nahezu völlig humorlos und als Richterin geradezu autoritär. Freeman war nicht davon überzeugt, daß es der reine Zufall gewesen war - auch wenn er es sein sollte -, der dieses Verfahren, bei dem die Todesstrafe drohte, der Kammer von Richterin Villars zugewiesen hatte. Freeman bildete sich ein, daß er den Schwefelduft der Machenschaften Dean Powells hinter den Kulissen roch.
Villars war zudem diejenige Richterin am Superior Court, bei der im Revisionsfall die geringste Aussicht auf Urteilsaufhebung bestand. Falls Powell einen Schuldspruch in ihrem Gerichtssaal durchbringen sollte, war ziemlich wahrscheinlich, daß es auch dabei bleiben würde.
Hardy gefiel noch eine andere Sache nicht - Richterin Villars war vermutlich nicht geneigt, das Votum einer Jury für die Todesstrafe umzustoßen, falls es tatsächlich dazu kommen sollte. Als Villars ihnen zugeteilt worden war, hatte Hardy versucht, Freeman zu überreden, mittels eines Ablehnungsan trags in eine andere Kammer zu kommen. Ähnlich wie bei den Geschworenen stand den Vertretern der Anklage bzw. der Verteidigung bei jedem gegebenen Prozeß eine pauschale Ab lehnung des zugewiesenen Richters zu. Theoretisch ging es darum, zu verhindern, daß Richter zu arrogant wurden und zuviel von ihrer Person oder ihren Ansichten in Prozesse einbrachten, die ja objektiv sein sollten. Falls ein Richter es beispielsweise der Anklagevertretung zu
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