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Das Urteil

Das Urteil

Titel: Das Urteil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John T. Lescroart
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schwer machte, konnte die Staatsanwaltschaft beschließen, den Betreffenden mit einem Sperrfeuer von Ablehnungsanträgen aus dem Gerichtsgebäude zu jagen, und im Lauf der Jahre hatten einige Richter das Ende ihrer Karriere erlebt, als sie von der Richter bank aus allzu freimütig versucht hatten, so manche für San Francisco typische Vorstellungen fairer Verhandlungsführung durchzusetzen.
    Rein theoretisch hatten Richter rechtlich eine enorme Ver antwortung und enorm viel Freiraum - selbst bei Prozessen, bei denen die Anklage die Todesstrafe beantragt hatte, konnte jeder Richter Monate harter Arbeit seitens des Staatsanwalts und auch die langüberlegte Entscheidung einer Jury über Bord werfen, sofern er (aus beinahe jedem vertretbaren Grunde) zu dem Entschluß kam, daß hier der Gerechtigkeit nicht Genüge getan wurde. Es entsprach andererseits ebenfalls der Wahrheit, daß jeder Richter, der dieses Privileg allzu oft in Anspruch nahm, nicht lange Richter blieb.
    Hardy hatte Villars ablehnen wollen. Trotz ihres Ge schlechts hatte sie sich den Ruf erworben, Frauen besonders hart zu behandeln. Im gesamten Verlauf ihrer Karriere hatte sie sich, wie es aussah, alle nur erdenkliche Mühe gegeben, um den Eindruck zu vermeiden, sie begünstige Anwältinnen, Justizbeamtinnen und angeklagte Frauen. Vor ein paar Jahren hatte sie an vorderster Front gestanden, als es darum ging, den Chief Justice des Supreme Court von Kalifornien - eine Frau - wegen ihrer »laschen Haltung« zur Todesstrafe abzusägen (was auch Erfolg hatte).
    Villars spielte also bei niemandem das Schmusekätzchen, soviel war klar, aber Freeman war eisern geblieben. Er wollte die Richterin unbedingt haben. Er war entzückt, daß die Wahl auf sie gefallen war. Mit ihr konnte er gewinnen.
    Wieso? Weil Villars nach Freemans Überzeugung in der Tat absolut unparteiisch war, was nur auf wenige andere Richter zutraf. Es stimmte überhaupt nicht, daß Villars Frauen besonders hart behandelte - der Punkt war, daß sie sie haargenau wie Männer behandelte. Und in San Francisco, wo sich Minderheiten jedweder Couleur lautstark zu Wort meldeten, hielt sich Richterin Villars strikt an den Buchstaben des Gesetzes. Sie vertrat die Ansicht, daß Männer und Frauen vor dem Gesetz in jeder Hinsicht gleich seien. Und nach dieser Maßgabe behandelte sie die Leute, sprach über sie Recht - über Männer, Frauen, Weiße, Schwarze, Latinos, Schwule, alle.
    Also war Freeman zuversichtlich, daß er mit Villars auf der Richterbank die beste Chance hätte, das Verfahren zur Klärung der Frage, ob schuldig oder nicht schuldig, zu gewinnen, weswegen er auch nicht geneigt war, die Richterin abzulehnen. Der Nachteil war freilich, daß Villars, falls Freeman verlieren sollte, beim Verfahren zur Strafmaßfestlegung als Richterin eine äußerst ungünstige Wahl war.
    Zum achtenmal innerhalb von fünf Wochen drängten sich achtzig Leute in den Gerichtssaal. Der Protokollführer las zwölf Namen vor, und die Betreffenden verließen den Zuschauerraum und setzten sich in die Bank für die Geschworenen. Alle achtzig schworen, alle Fragen betreffend ihrer Eignung als Geschworene wahrheitsgemäß zu beantworten.
    Richterin Villars fing an: »Gegen Jennifer Lee Witt ist von der Grand Jury des Staates Kalifornien Anklage wegen dreifachen vorsätzlichen Mordes unter erschwerenden Umständen zugelassen worden.« Sie fuhr fort, indem sie die erste Salve von Standardfragen abfeuerte: Kannte irgend jemand auf dem Podium die Angeklagte? Die Opfer? Oder aber die Ankläger bzw. die Verteidiger? War irgend jemand einmal Opfer eines Gewaltverbrechens geworden? Gab es Polizisten in der Verwandtschaft? Anwälte? Richter? War irgend jemandem der Fall aus Berichten bekannt, die er oder sie im Fernsehen gesehen oder in der Zeitung gelesen hatte? War irgend jemand bereits einmal verhaftet worden? Einzelne Hände hoben sich in Beantwortung jeder Frage, und beide Parteien machten sich Notizen.
    Und so ging es immer weiter. Jennifer saß dicht neben Free-man und wandte sich gelegentlich mit einer Frage oder einem Kommentar an Hardy. Beide Anwälte machten sich Notizen über ihre Ablehnungen, faßten ihren Entschluß, wen sie ablehnen wollten, auch wenn sie auf nur wenig Handfestes zurückgreifen konnte.
    Die Auswahl der Geschworenen war selbstverständlich auch in den alten Tagen des voir dire keine exakte Wissenschaft gewesen. Jetzt, angesichts der neuen Regeln, entsprach die ganze Prozedur eher einem Würfelspiel.

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