Das Urteil
Einspruch irritierte ihn nicht im geringsten. Kaum daß Villars »Einspruch stattgegeben« gesagt hatte, preschte er schon weiter. »Wie allen Damen und Herren der Jury bewußt ist, handelt es sich hier um ein Kapitalverbrechen, bei dem erschwerende Umstände geltend gemacht werden. Und einer dieser erschwerenden Umstände ist es, daß dieser Mord an Edward Teller Hollis ein kaltblütiges Verbrechen aus Gewinnsucht gewesen ist. Es ist nicht von Belang, daß diese Tat vor etlichen Jahren begangen wurde. Bei Mord gibt es keine Verjährungsfrist.«
Jennifer, deren Platz zwischen Freeman und Hardy war, saß stocksteif auf der vorderen Hälfte ihres Stuhls. Alles an ihr war scheinbar gänzlich unter Kontrolle, außer daß ihre Nasenflügel beim Atmen öfter ein wenig flatterten.
Powell blickte sie direkt an und machte eine kurze Pause in seinem Eröffnungsplädoyer. Empfand er ihren kalten Blick der Nichtbeachtung als Herausforderung? Er nickte förmlich, beinahe freundlich, und neben Hardy rutschte Jennifer ein wenig auf ihrem Stuhl herum.
»Ein Jahr nach dem Tod ihres ersten Mannes, 1985 also, heiratete Jennifer Larry Witt, der eben die Frau verlassen hatte, die ihm sein Medizinstudium finanziert hatte ...«
Freeman stand erneut auf und erhob Einspruch. Erneut wurde dem Einspruch stattgegeben, diesmal nachdrücklicher. Dies war der Auftakt zu möglicherweise einer ganzen Anzahl von Versuchen, die beteiligten Personen schlicht und simpel anzuschwärzen, und Villars ließ Powell eine Warnung zukommen, daß sie das nicht dulden würde. So etwas war kein Beweismaterial. Versuchen Sie ja nicht, uns solches Zeug unterzujubeln.
Es war ein erstes gutes Zeichen, und Hardy machte sich eine Notiz auf seinem Block. Hatte der stumme Schlagabtausch zwischen Jennifer und Powell diesen von seinem Angriffsplan weggelockt, oder war es ein unabsichtlicher Fauxpas gewesen?
Aber der Anklagevertreter hatte noch eine Menge mehr zu sagen, und alle hörten ihm zu. »Im Jahre 1985 heiratete Jennifer Larry Witt, der gerade eine eigene Arztpraxis eröffnete. Im darauffolgenden Jahr bekamen die beiden einen Sohn namens Matthew. Im Maße, in dem die Praxis von Dr. Witt florierte, stockte das Ehepaar die Lebensversicherung auf, bis Larry Witt zum Zeitpunkt seines Todes am 28. Dezember des vergangenen Jahres für zweieinhalb Millionen Dollar versichert war.«
Dies war der Moment für eine bedeutungsschwere Pause, und Powell nutzte ihn. Man hörte ein schweres Ein-und Ausatmen durch den Gerichtssaal gehen.
»Zweieinhalb Millionen Dollar, meine Damen und Herren. Wir werden Ihnen die betreffende Police als eines der Beweis stücke der Anklage vorlegen, und Sie werden sehen, daß die Versicherungssumme laut einer Klausel im Falle eines gewaltsamen Todes von Larry Witt verdoppelt wird. Und Larry Witt starb eines gewaltsamen Todes. Das ergibt eine Summe von fünf Millionen Dollar für die bei seinem Tod fällige Zahlung. U nd ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß das in jedem Jahr eine Menge Geld ist.«
Powell warf Freeman ein kurzes Lächeln zu, was ihm bei den Geschworenen Punkte als netter Kerl einbrachte. Freeman, der in aller Regel nichts mit Höflichkeiten am Hut hatte, zeigte das, was er unter der Erwiderung eines Lächelns ver stand. Villars hob ihren Hammer, überlegte es sich aber anders und legte ihn wieder hin.
»Selbstverständlich ist die Existenz einer Versicherungs police kein Beweis für einen Mord. Darüber sollten wir uns alle im klaren sein. Wir werden Ihnen vorführen - und über jeden berechtigten Zweifel hinaus beweisen -, daß die Handlungen Jennifer Witts am Montag morgen des 28. Dezember keine andere Erklärung rechtfertigen als die, daß sie ihren Mann und ihren Sohn mit der im Schlafzimmer aufbewahr ten Pistole erschossen hat und dann das Haus verließ, um sich für die fragliche Zeit ein Alibi zu verschaffen.
Das Volk hat das Glück, daß es zwei Zeugen gibt, die zu diesem A libi aussagen werden. Die beiden Zeugen werden jeden Zweifel ausräumen, daß Jennifer zu Hause war, als die Schüsse fielen. Sie war anwesend, sie hatte die Waffe, und sie benutzte sie, um ihren Mann wegen der Versicherung umzubringen.
Und schließlich, und das ist das Tragischste an der ganzen Sache, haben wir den jungen Matthew Witt.«
N eben Hardy sackte Jennifer ein klein wenig in sich zusammen. Die Wut war entweder verflogen oder hatte etwas Stärkerem Platz gemacht. Zum erstenmal ließ sie den Kopf hängen. Freeman sah zu ihr hinüber
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