Das Urteil
Verhaftung angestellt hatte, eigentlich nicht angemessen in Betracht ziehen, aber Hardy war davon überzeugt, daß sie auf die eine oder andere Weise ebensoviel wußten wie er und daß sie das, was sie wußten, wohl nur schwerlich aus dem Gedächtnis streichen würden.
Hardy schrieb die Annahmen auf, von denen die Jury aus ging: Nachdem sie ihren Mann und ihren Sohn erschossen hatte, hatte Jennifer das Haus verlassen, um zu joggen und sich dabei ein Alibi zu verschaffen - den Stop beim Geldautomaten -, dem alle um ein Haar auf den Leim gegangen wären. Dann war sie dank einer abgefeimten List aus dem Untersuchungsgefängnis geflohen und drei Monate flüchtig gewesen und setzte in dieser Zeit eine Affäre mit ihrem Psychiater fort (soviel zum Thema liebende Ehefrau).
Obwohl die Richterin den Geschworenen die Anweisung erteilt hatte, daß es nicht genügend Beweismaterial gab, um Jennifer wegen Mordes an ihrem ers ten Ehemann zu verurteilen, bezweifelte Hardy, daß irgendein Mitglied der Jury nicht der Meinung war, daß sie es doch getan hatte. Auch daran würden die Geschworenen sich fraglos erinnern, wenn es an der Zeit war.
Ja, sie sah gut aus. Manche der Männer mochten sie sogar für eine Schönheit halten, aber selbst das, so argwöhnte Hardy, sprach gegen Jennifer - die distanzierte Haltung, die sie an den Tag legte, ließ darauf schließen, daß sie sich dachte, sie stehe über allem und jedem, auch über dem Gesetz. Mehr Tränen wären hilfreich gewesen, aber Jennifer unterdrückte Tränen.
Hardy hatte fast einen ganzen Tag dafür gebraucht, die Anweisungen an die Jury zu formulieren, die Villars nach dem Eröffnungsplädoyer den Geschworenen vortragen würde, unmittelbar bevor beide Gerichtsparteien der Jury den Fall präsentierten.
»Meine Damen und Herren. Guten Morgen.«
Powell stand in entspannter Körperhaltung rund vier Meter vor der Richterbank und knapp drei Meter vor der Bank der Jury, sah die Geschworenen an. Er sprach leise und in lockerem Ton - trotzdem war er sehr gut zu verstehen. Es sah ganz danach aus, als wolle er auf alle Schauspielerei verzichten, und zwar aus der Überlegung heraus, daß die Geschworenen vielleicht die Nase davon voll hatten.
Ein weiteres Problem war, daß Powells Vorsprung in den Wählerumfragen übers Wochenende zugenommen hatte -er übertraf seinen nächsten Konkurrenten um sieben Prozentpunkte und schien auf dem besten Wege zu sein, die Wahl im ersten Anlauf zu gewinnen. Hardy hatte das Gefühl, als sei dies einigen Geschworenen bewußt, und wenn das der Fall sein sollte, bedeutete es zusätzliches Pech für Jennifer. Powells Autorität und Gewicht würden, wenn ihn die Jury als den Generalstaatsanwalt des Staates Kalifornien ansah und nicht als irgendeinen Ankläger, der sich seine Brötchen mühsam vor Gericht verdienen mußte. Aber auch das war etwas, wogegen Hardy nichts unternehmen konnte.
Powell fuhr fort: »Bei uns in den Vereinigten Staaten wird ungefähr alle zwei Stunden ein Mord begangen, und das vierundzwanzig Stunden am Tag, Tag für Tag, Woche für Woche. Bis vor ein paar Jahren war die Todesstrafe eine vergleichsweise normale Strafe für jemanden, der wegen Mordes verurteilt war, desgleichen bei sogenannten minderschweren Verbrechen wie Vergewaltigung und sogar manchen Arten von bewaffnetem Raubüberfall.
Das hat sich in unserer sogenannten aufgeklärten Zeit geändert, und heute leben wir in einer Gesellschaft und einem Staat, der die Todesstrafe nur für die allerabscheulich-sten Straftaten vorsieht - für Mord unter erschwerenden Umständen, wozu, wie Richterin Villars vor Ihnen ausgeführt hat, mehrfacher Mord, Mord aus dem Hinterhalt, Mord aus Gewinnsucht und Mord an einem Polizeibeamten zählt.
Sie haben Jennifer Witt des Mordes für schuldig befunden, und zwar schuldig unter zwei der erschwerenden Umstände, die ich soeben angesprochen habe - Mord aus Gewinnsucht und mehrfacher Mord. Das ist nicht länger strittig. In dieser Phase des Verfahrens werde ich Ihnen zeigen, warum der Staat Kalifornien auf die Todesstrafe plädiert.
Zunächst einmal haben, strikt juristisch betrachtet, die Gesetze dieses Staates festgelegt, daß die Natur dieser Verbrechen die äußerste Strafe erzwingt. Aber natürlich wirft dies eine sogar noch umfassendere Frage auf, und zwar nach der Natur der Mörderin, einer Natur, die derart ohne alles Erbarmen und Gefühl ist, daß sie imstande war - und dies auch tat -, den Mord nicht nur an ihrem Gatten, sondern
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