Das Urteil
zehn beginnen.
Nach dem Telefongespräch mit Floyd Restoffer hatte er eine Stunde lang mit seinen Alternativen gehadert und zuletzt beschlossen, daß er einfach nicht mehr genug Zeit hatte, die Sache selbst in Los Angeles weiterzuverfolgen. Wenn es absolut unverzichtbar wäre, würde er das tun, aber einstweilen hatte er einen Strafprozeß als Verteidiger zu bestreiten -Jennifer Witt würde zum Tode verurteilt werden, sofern er nicht irgendein genügend einleuchtendes Argument vorbrachte, daß sie das nicht verdient hatte.
Und natürlich konnte er das beste nicht benutzen.
Aber die Verfahrensphase zur Bestimmung des Strafmaßes ließ ihm mehr Spielraum, als Freeman zur Verfügung gehabt hatte. Im Verfahren zur Schuldfeststellung ging es um das Gewicht der Indizien, um Beweise, um die Feststellung der Tatsachen. Im Gegensatz dazu wurde im Verfahren zur Strafmaßfestlegung der Erörterung von Gesichtspunkten, die eine Jury davon überzeugen mochten, daß die oder der Angeklagte menschliche Eigenschaften besaß, die sich strafmildernd auswirken konnten, breiter Raum, explizit zugestanden -ja geradezu zwingend vorgeschrieben. Also konnte Hardy diese Dinge bei Jennifer zur Sprache bringen - ihr Zusammenleben mit ihrem Mann, was für eine gute Mutter sie war. Er konnte über ihre Kindheit reden, über ihre Freunde, sogar über ihre Haustiere. Das Problem war nur, daß er im Verlauf der letzten Woche trotz mehrerer Stunden pro Tag, die er mit Jennifer zubrachte, nicht viel mehr über ihr Leben ans Licht gebracht hatte, als er ohnehin bereits wußte. Zudem hatte er den Verdacht, daß nicht viel von Jennifers Lebensgeschichte - zumindest der Teil, den er erzählen durfte - die Geschworenen zu nennenswertem Mitgefühl bewegen würde.
Larry Witt hatte ihr nicht erlaubt, Freunde kennenzulernen oder zu behalten, und sie hatte sich dem gefügt. Es war ihr noch nicht einmal erlaubt, an Matts Leben in der Schule teilzuhaben. Sie besuchte weder ihre Eltern noch ihren Bruder. Es gab keine Haustiere. Bei den wenigen Malen, die das Ehepaar Witt zum Abendessen ausging oder bei einer der gesellschaftlichen Verpflichtungen Larrys auftrat, hatte Jennifer die Rolle der unnahbaren Schönheit, der Ehefrau als Jagdtrophäe gespielt.
Sie bestand darauf, die schreckliche Realität, daß man sie für schuldig gefunden hatte, zu verdrängen. Hardy betonte wieder und wieder die Tatsache, daß sie in den Augen der Jury eine mehrfache Mörderin war. Das war eine grausame Wahrheit, aber es war die Wahrheit. Jennifer wich ihr aus, wie sie so vielen anderen Wahrheiten in ihrem Leben ausgewichen war.
Zuletzt einigten sie sich auf eine Art Kompromiß. Hardy konnte alles zur Sprache bringen, was er als menschliche Themen betrachtete und durfte im Endeffekt um ihr Leben bitten, als ob sie schuldig wäre, solange er nur jeden Hinweis darauf ausklammerte, daß Larry sie geschlagen hatte. Im Gegenzug mußte Hardy weiterhin alternative Theorien für die Morde auf den Tisch legen; sie wollte partout nicht von der Vorstellung lassen, daß diese Möglichkeit - daß jemand anderer die Tat begangen hatte - zumindest genügend Zweifel säen würde, um die Geschworenen nicht für die Todesstrafe votieren zu lassen. Und egal, in welcher Lage sie sich befand und wie nachhaltig ihr Hardy die Realität vor Augen hielt, sie schien sich nach wie vor an die Hoffnung zu klammern, daß der echte Mörder irgendwie gefunden und sie von jedem Verdacht freigesprochen würde.
Also brachte Hardy die halbe Nacht damit zu, auf der Basis des Materials über die BMG und trotz der Warnungen David Freemans, die Schlußfolgerung auszuarbeiten und - so hoffte er - auch zu unterfüttern, daß ein Profikiller Larry umge bracht hatte und welche Gründe diesen dazu bewegt hatten. Zu diesem Zwecke hatte er Ali Singh eine Vorladung ges chickt.
Der Versuch, Jennifer als ein Vorbild an Nettigkeit und Güte zu porträtieren, erwies sich als etwas schwieriger. Sie war einfach nicht das freundliche Mädchen von nebenan und hatte nie vorgegeben, es zu sein. Sie war ein schwieriges, launenhaftes Kind gewesen und war auch als Erwachsene, wie jedermann im Gerichtssaal gesehen hatte bzw. gesehen zu haben glaubte, schwierig und launenhaft - hochmütig, abgebrüht, geheimnistuerisch, selbstzerstörerisch. Das war nur allzu oft die Persönlichkeit, die nach außen sichtbar wurde, und nur ganz selten sah man, was sich darunter verbarg. Die Geschworenen konnten viele der Dinge, die Jennifer seit ihrer
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