Das Urteil
daß sich das als Pyrrhussieg entpuppen würde. Die Geschworenen waren nun mit Nachdruck an Ned erinnert worden, und egal, was für juristische Anweisungen sie erhalten hatten, er bezweifelte, daß viele Leute, wenn sie erst einmal von der Schuld Jennifers im Fall Larrys und Matts über zeugt waren, nicht zu dem Schluß kommen würden, daß sie auch ihren ersten Ehemann getötet hatte.
Zusätzlich machte sich Hardy Sorgen, daß er jetzt wahrscheinlich Villars auf Dauer verprellt hatte, und das konnte sich nur negativ auswirken. Und obwohl er ein plausibles Motiv für Jennifers Explodieren geliefert hatte, war es ihm nicht gelungen, die nackte Tatsache aus der Welt zu räumen, daß Jennifer Poole tätlich angegriffen hatte. Poole mochte den Anwesenden als Schmarotzer, Schlappschwanz und Jammerlappen vorkommen, aber Jennifers Charakter war ebenfalls ins Zwielicht geraten - eine äußerst labile Person, der man nur auf eigenes Risiko einen Strich durch die Rechnung machte. War es nicht wahrscheinlich, daß so jemand auch bei anderen wieder gewalttätig wurde?
Powell hatte während des Verfahrensabschnitts zur Klärung der Schuldfrage nur selten auf Fotos zurückgegriffen, aber entgegenkommenderweise schickte er Justin Morehouse, seinen jungen Assistenten, als man gerade zur Mittagspause aufbrach, zu Hardy, um ihn darüber zu informieren, daß die Anklagevertretung am Nachmittag in der Zeugenbefragung die Fotos vorstellen würde - ein Mitglied der Spurensicherung mit den Fotos aus dem Haus der Witts, dann der amtliche Leichenbeschauer Dr. Strout mit den Fotos aus dem Leichenschauhaus.
Das war zwar grauenhaft, aber vom Standpunkt des Anklä gers betrachtet, hatte es durchaus seinen Sinn. Powells Ab sicht war es, nachzuweisen, daß die Morde kaltblütig und vor sätzlich erfolgt sein mußten. In dieser Prozeßphase kam es ihm vor allem darauf an, das Entsetzliche am Tod Matts zu unterstreichen, und Hardy, der die Fotos gesehen hatte, wußte, daß sie in dieser Hinsicht ungemein wirkungsvoll sein würden.
Justin war ein dynamischer, sportlich gebauter junger Mann in einem gut geschnittenen Anzug. Er hatte während des gesamten Prozesses in Powells Schatten gestanden, hatte Notizen gemacht, kein Wort gesagt, die Drecksarbeit erledigt, wie es die meisten jungen Anwälte taten. Er besaß ein offenes, lebhaftes Gesicht. Als er Hardy die Botschaft überbrachte, schien er geflissentlich bemüht, den Anschein der schneidigen Anklägerpose zu vermeiden, den manche der frisch eingestell ten Staatsanwälte als Schutzschild annahmen.
»Das wird für Jennifer äußerst hart werden«, sagte Hardy. »Vielleicht könnten Sie das Dean ausrichten.«
»Was wird hart sein?«
»Wenn sie Fotos ihres toten Sohnes ansieht.«
Justin trat unruhig von einem Fuß auf den anderen, als müsse er aufs Klo.
»Dann hätte sie ihn vielleicht nicht umbringen sollen«, sagte er. Die Bemerkung wirkte zögernd, als wolle der Sprecher nicht herzlos klingen, aber er glaubte eben aufrichtig an das, was er gesagt hatte, ohne den Anflug eines Zweifels. Das war gut zu wissen.
Für viele Leute im Gerichtssaal - vielleicht für die meisten, dachte Hardy - war Jennifer eine mehrfache Mörderin, die es bei der entsprechenden Provokation höchstwahrscheinlich wieder tun würde. Selbst Justin Morehouse - ein allem An schein nach sympathischer Bursche - würde deshalb nicht Weniger gut schlafen, weil er dazu beigetragen hatte, Jennifer zum Tode zu verurteilen. Tatsache war, daß es ihm, obwohl er es vermutlich nicht zugeben würde, auch nichts weiter aus machte, wenn sie beim Vorzeigen der Fotos ein bißchen leiden mußte.
Hardy hatte Angst, daß Justin womöglich repräsentativ dafür war, was die Geschworenen empfanden, und wenn das stimmte, war Jennifer ernsthaft in der Bredouille. Denn nach dem minimalen Eindruck zu urteilen, den seine Kreuzverhöre auf Morehouse gemacht hatten, dachte Hardy, er hätte sich den Auftritt vor Gericht genauso gut sparen können.
Sobald die Verhandlung nach der Mittagspause wieder eröffnet wurde, stand Hardy auf und fragte die Richterin, ob der Vertreter der Verteidigung zum Richtertisch kommen dürfe.
»Euer Ehren«, begann er und erzählte Villars von Powells Plan, die Fotos zu zeigen und zu diskutieren. »Angesichts der überaus emotionalen Reaktion, die diese Fotos vermutlich hervorrufen, möchte ich darum ersuchen, daß Jennifer Witt dem Gerichtssaal für den Verlauf dieser Zeugenaussage mit Ihrer Erlaubnis fernbleiben
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