Das Urteil
sie. Er hatte damit nicht sagen wollen, daß er sie tatsächlich umbringen würde. Im Gegenteil, nachdem sie da mals nach Hause zurückgekommen waren, hatte er sie ein paar Monate lang noch nicht einmal geschlagen. Ned hatte sie um ein Haar totgeschlagen, als sie bei ihm dasselbe ge macht hatte. Aber Larry schien so glücklich, sie wieder bei sich zu haben.
Und er hatte auch recht, was ihre Familie anging. Sie hatten bei den ein, zwei Besuchen bewiesen, daß sie Larry nicht aus stehen konnten und sie selber auch nicht mehr. Sie waren ein fach neidisch. Larry sagte, es tue ihm leid, aber es sei eben eine von diesen Sachen, bei denen man wirklich nichts machen konnte. Man konnte die Leute nicht ändern, sie sollte das wis sen. Und sie wußte, daß sie ihre Mutter und ihren Vater nicht ändern konnte. Und vor allem nicht Tom. Nichts und niemand konnte Tom ändern - er war einfach durch und durch eklig und gemein.
Tja, es gab einfach keinen Grund, sich so etwas anzutun. Sie und Larry hatten nicht darum gebeten, keinen von ihnen darum gebeten. Sie hatten Jennifers Familie jede nur denkbare Chance gegeben, dennoch blieben sie genau, wer sie waren. Sie glaubten, Larry hasse sie und hätte Jennifer gegen sie aufgehetzt. Aber das stimmte nicht. Vielleicht hatte sie die Sache etwas klarer durchschaut, nachdem Larry ihr geholfen hatte, den Zusammenhang zu begreifen, ihr geholfen hatte, zwischen den Zeilen zu lesen, wo von Jennifers »Hochnäsigkeit« oder dem »Schnickschnack« der Witts die Rede war. Nein, sie waren, so traurig es war, einfach neidisch, wie sie es immer schon gewesen waren, und es gab einfach keinen Grund, sie zu besuchen und alle Beteiligten vor den Kopf zu stoßen.
Die Sache mit dem Bankkonto und mit Ken ... Dr. Light ner ..., sie hatte einfach Angst. Sie hatte immer Angst ge habt. Das Leben machte einem angst. Die Leute veränderten sich, oder das Leben, das man führte, ging plötzlich vor die Hunde, und manchmal konnte man das einfach nicht vorhersehen oder irgendwas dagegen unternehmen, aber sie wollte die ganze Sache ein bißchen besser begreifen, also war sie zu Ken gegangen - na schön, hatte sie sich heimlich zu ihm hin gestohlen. Und er wußte mehr über sie als Larry - wußte von Ned, um die Wahrheit zu sagen -, und trotzdem mochte er sie noch. Sie glaubte das, glaubte, daß Ken sie wirklich mochte. Sie war nicht einfach eine Patientin von ihm. Natür lich, jetzt ...
Na ja, sie mußte nicht zuviel darüber nachgrübeln. Das war einfach eine andere Sache.
Und die Bank. Es war ja nicht so, daß Larry ihr das Geld nicht geben würde, wenn sie ihn darum bäte. Aber es war schwer, ihm eine Überraschung zu kaufen, wenn sie ihm sagen mußte, wofür sie das Geld ausgab. Na ja, wenigstens hatte es so angefangen. Mit dem Bankkonto. Es war leicht, die Kassiererin bei Petrini's zu bitten, ihr einen Kassenzettel über zusätzliche zwanzig Dollar in bar zu geben, dann über fünfzig, dann über zweihundert. Das Einkaufen war ihre Sache, und Larry prüfte die Quittungen nicht nach.
Sie eröffnete die Konten als Mrs. Ned Hollis und benutzte die Sozialversicherungsnummer ihres verstorbenen Mannes, achtete sorgfältig darauf, daß alle Steuern abgeführt wurden. Das hatte sie im ersten Jahr nur mit Mühe und Not hinbekommen. Und nach dieser Erfahrung hatte sie sich das Postfach besorgt und die Steuerformulare dorthin schicken lassen, und dann war es nie mehr ein Problem gewesen.
Außerdem wußte man ja nie. Was wäre denn, wenn Larry irgendwie sein ganzes Geld verlor? Oder wirklich wegen eines Kunstfehlers verklagt wurde, wie er andauernd erzählte? Dann konnte sie sich seine Überraschung und seine Freude vorstellen, wenn sie ihm die Mitteilung machte, daß sie all das zusätzliche Geld hatte, das ihre Rettung war. Sie hatte es getan, um sie alle zu retten, die ganze Familie.
Sie dachte manchmal darüber nach, warum sie damals weggelaufen war. Außer dem Schrei um Hilfe hatte sie ihr Gesicht schützen wollen, und Larry hatte angefangen, sie ins Gesicht zu schlagen.
Eine Zeitlang hatte Ken sie das Ganze in einem anderen Licht sehen lassen - vielleicht lag es daran, dachte sie. Eine Zeitlang hatte er sie glauben gemacht, daß Larry nicht gut für sie war, daß sie ihr eigener Herr war und alles, was sie tun mußte, war, wie er es ausdrückte, sich das klarzumachen, Larry zu verlassen und Matt mitzunehmen. Die Gesetze des Staates Kalifornien würden ihr, so sagte er, das Sorgerecht zusprechen.
Aber Ken
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