Das Urteil
dieses schwarze Loch, das nicht mehr weggehen wollte.«
Frannie zuckte die Achsel. »Vielleicht. Ich weiß nicht. Ich hab nicht das Gefühl, daß es das ist.« Sie ließ die Hand in den Schoß fallen. »Ich wollte Ihnen sagen - wissen Sie, daß mein erster Mann ebenfalls umgebracht wurde?«
Dann erzählte Frannie Jennifer die Geschichte von Eddie Cochran, der damals fünfundzwanzig war - Frannies Mann und Hardys Freund. Hardy hatte bei der Entlarvung des Mörders mitgeholfen, und fünf Monate später hatten sie -Hardy und Frannie - sich ineinander verliebt und geheiratet.
Frannie erzählte ihr von ein paar üblen Momenten in der Zeit, seit sie zusammen waren. Vielleicht Schuldgefühle. Schlechtes Timing. Aber dies hier, Frannies Traurigkeit, schien irgendwie tiefer zu gehen.
» Alles ging so holterdipolter, wissen Sie.«
Jennifer hörte gebannt mit funkelnden Augen zu. Eine an dere Frau hatte Probleme, war traurig. Es war tröstlich zu wissen, daß sie nicht so ganz allein war.
»Es ist bloß so, daß erst Eddie da war, dann Dismas und ich. Dann bin ich plötzlich wieder verheiratet, und Rebecca kommt auf die Welt. Als nächstes, bevor ich eigentlich noch recht über all diese Veränderungen nachgedacht habe, bin ich schon wieder schwanger, kommt Vincent zur Welt. Und jetzt -jetzt bin ich eine Minute lang stehengeblieben und blicke zurück, und es kommt mir vor, als wäre ich in einer Tour wie eine Verrückte gerannt, als wäre ich vielleicht vor irgendwas weggerannt. Läßt sich das einigermaßen nach vollziehen?«
Jennifer nickte. »Ja. Manchmal glaube ich, der Trick ist ein fach, daß man immerzu weiterrennt, damit man nicht stehenbleiben und darüber nachdenken muß. Wenn man erst einmal stehenbleibt, dann ...«
Frannie ließ sich eine ganze Weile Zeit, beugte sich dann vor, stemmte die Ellbogen auf die Tischplatte. »Heute saß ich da und hab Vincent gewiegt und gestillt, und auf einmal mußte ich weinen. Richtig schluchzen. Wieso sollte mich das überwältigen, wenn ich mein Leben anschaue und mich prima fühle? Ich bin jeden Tag guter Dinge, Dismas und ich kommen glänzend miteinander aus. Ich liebe die Kinder. Ich kapier's nicht.«
»Fehlt Ihnen denn Eddie, Ihr erster Mann?«
»Ein bißchen. Aber ich habe mich daran gewöhnt, daß er weg ist. Ich weiß, daß er nicht mehr zurückkommt. Das ist es nicht. Es ist eher so, daß ich die Dinge nicht richtig auseinanderklamüsert habe. Ich hab noch nicht mal richtig drüber nachgedacht, und schon bin ich verheiratet und hab zwei Kinder, und das ist mein Leben, und manchmal hab ich überhaupt keine Ahnung, wie es dahin gekommen ist.«
Jennifer kratzte auf ihrer Seite der Trennscheibe auf dem pockennarbigen Fensterbrett herum. »Tja, manchmal hat man wirklich keine Ahnung, wie man wohin gekommen ist.«
Frannie rang sich ein Lächeln ab. »Sehen Sie mich an, wie ich mit Ihnen rede, wo Sie hier drin sitzen. Ich darf mich wirklich nicht beklagen, wenn ich sehe, in welchem Schlamassel Sie stecken.«
»Das ist in Ordnung«, sagte Jennifer. »Ist schon in Ordnung. Ich werd nicht auf immer und ewig hier sein. So oder so - zumindest komm ich hier wieder raus.«
»Ich weiß nicht, wie Sie das aushalten.«
Jennifer dachte eine Weile nach, schluckte dann, rang sich uun ihrerseits ein Lächeln ab. »Es ist ja nicht so, daß ich groß die Wahl hätte ... Er behandelt Sie gut, oder? Er tut Ihnen nicht weh?«
Es war nicht ganz klar, woran sie anknüpfte. »Wer?«
»Ihr Mann.«
»Dismas?« Frannie verlagerte das Gewicht auf dem harten Holzstuhl. »Nein, ich meine ja, er behandelt mich sehr gut. Er würde mir nie weh tun. Er liebt mich.«
Jennifer sah sie mit einem Blick an, der zu fragen schien, was das damit zu tun hätte. Aber sie sagte: »Und Eddie, hat er's getan?«
»Mir weh getan? Nein, nie.«
Jennifer lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und fuhr sich mit beiden Händen durchs kurzgeschnittene Haar. »Es muß wohl an mir liegen«, sagte sie. »Ich hab schon immer geglaubt, daß es an mir liegt.«
»Daß was an Ihnen liegt? Was?«
Jennifer beugte sich jetzt vor, zog die Schultern hoch. Langsam hob sie die Hand und legte sie an die Glasscheibe. Frannie hob die ihre auf gleiche Höhe und bildete sich beinahe ein, sie könne die Wärme von Jennifers Haut spüren. »Warum sie mich immerzu schlagen.«
Im dritten Stock hörte Dean Powell gerade einem anderen Staatsanwalt dabei zu, wie dieser die wesentlichen Gesichtspunkte einer schweren Körperverletzung
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