Das Vampir-Pendel
nenne ihn so, denn eigentlich habe ich mein ganzes Leben allein gelebt.«
»Aber du hast nicht nur gelebt, du hast auch erlebt, denke ich mir.«
»Das stimmt.«
»Dann willst du mit mir über dein Leben reden?«
Juri lächelte, bevor er sich mühsam aufrichtete. Es war nur mehr ein Versuch, und Marek war ihm dabei behilflich. Er stützte ihn ab und ließ ihn erst los, als der alte Mann die Sitzstellung erreicht hatte. »Gib mir etwas zu trinken, bitte. Die Flaschen müssen neben dem Bett stehen. Ein Glas brauche ich nicht.«
Marek reichte ihm eine der beiden Flaschen, die der Blinde mit beiden Händen umfaßte. Er brachte die Öffnung zielsicher an seine Lippen und trank.
Nach dem zweiten Schluck ließ er die Flasche sinken. Er wischte einige Tropfen aus seinem Bart, und Marek stellte die Flasche wieder neben die andere. Sie hatte einen klaren Saft enthalten, mehr eine Nährlösung.
Jedenfalls keinen Alkohol.
»Jetzt fühle ich mich besser.«
»Das sieht man.« Juri lachte leise. Er strich mit seinen Handflächen über die Decke hinweg und runzelte die Stirn. »Ich hatte dir die Gefahr vorhin schon angedeutet, aber jetzt möchte ich doch etwas konkreter werden, wenn ich darf.«
»Darauf warte ich.« Juri schloß wieder die Augen, als wollte er dem Besucher den Anblick nicht länger zumuten. »Es ist ja so«, flüsterte er, »wir beide wissen, daß wir dieselben Feinde haben. Sie sind angetreten, um sich vom Blut der Menschen zu ernähren. Sie sind immer da, sie sind immer auf der Suche nach Beute, und du bist dafür geschaffen, sie zu fangen. Du bist der Pfähler, und dich umgibt ein gewisser Ruhm, der dir zudem schon vorausgeeilt ist. Du hast damals deine Frau an die Blutsauger verloren, aber du hast nicht aufgegeben. Du bist den Weg weitergegangen, du bist ein Mensch, der ein Ziel hat, ebenso wie ich. Ja, auch ich hatte ein Ziel, und ich war ein Auserwählter.«
»Wozu hat man dich auserwählt? Um sie zu bekämpfen?«
»Eigentlich schon. Aber ich habe es nicht bewußt getan, es ist einfach so gekommen.«
»Und diese Geschichte willst du mir erzählen, denke ich?«
»So ist es.«
»Ich habe Zeit«, sagte Marek.
Der alte Juri lächelte. »Die mußt du auch haben. Viel Zeit, mein Freund, sehr viel. Der Tag wird übergehen in den Abend, und ihm wird die Nacht folgen, aber ich werde nicht aufhören, dir alles zu erzählen, denn ich muß mich beeilen, weil der Sensenmann schon auf mich lauert. Deshalb höre bitte genau zu. Eine zweite Chance werden wir beide nicht mehr bekommen…« Marek nickte nur.
Wenn alles stimmte, was man mir gesagt hatte, dann würde es großen Ärger geben, aber davon ging ich zunächst nicht aus, sondern sah die Dinge positiv. Auch dann noch, als die Maschine auf dem Flughafen von Kronstadt landete und mein Herzklopfen aufhörte, denn der Flug von Bukarest über die Karpaten hinweg war in dieser Klapperkiste kein Vergnügen gewesen.
Ebensowenig komfortabel war die Landepiste. Die wenigen Passagiere wurden noch einmal durchgeschüttelt, und als wir schließlich standen, gab es keinen, der nicht befreit aufatmete.
Ich war praktisch von Deutschen umgeben, die in Kronstadt zu tun hatten. Aus den Gesprächen hatte ich erfahren, daß sie gekommen waren, um für ihre Firmen nach Orten zu suchen, wo es sich investieren ließ, denn in dieser Gegend lebten zahlreiche Deutschstämmige, denen bessere Lebensbedingungen geschaffen werden sollten, damit die Versuchung nicht zu groß wurde, das Land zu verlassen und in die Heimat der Vorfahren auszuwandern. Hilfe vor Ort war oft am besten.
In London war der erste sommerliche Schwung vorbei, und so kletterte ich der Hitze entgegen, die über Kronstadt lastete und auch über den dunklen Bergen der Karpaten, die wir bereits von der Höhe aus gesehen hatten. Manch einem war dabei ein Schauer über den Rücken gelaufen, wenn er an die furchtbaren Geschichten und Legenden dachte, die sich hier entwickelt hatten, wobei natürlich der alte Vlad Dracula stets präsent war. Als wir später die kleine Halle erreicht hatten, wurde es kaum kühler. Unter dem Dach stand die Luft, und ich war froh, keine dicke Kleidung zu tragen.
Ein Mietwagen sollte für mich bereitstehen. Mit ihm wollte ich nach Petrila fahren, wo mein alter Freund Marek wohnte, den ich vor dem Abflug telefonisch leider nicht mehr erreicht hatte.
Die seltsame Einladung war nicht vom ihm gekommen. Jemand anderer hatte mich zu dieser Reise überredet.
Ausgerechnet mein Erzfeind Will
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