Das verborgene Feuer
Urlaub genommen. Ich hab ein paar Dinge vor, mit denen ich mich beschäftigen muss, Oma. Und ich möchte nicht, dass du mit Caspar tratschst, verstanden? Ich habe einfach … Urlaub genommen. Das ist alles.«
Sie stürzte den restlichen Kaffee hinunter und ignorierte den Laserblick ihrer Großmutter.
»Du redest Riesenunsinn! Und Caspar und ich tratschen, worüber wir wollen.« Sie lächelte süß, während Beatrice ihren Toast aufaß und sich vom Tisch erhob. »Arbeitest du heute Abend? Heute ist –«
»Mittwoch. Ja.« In der Vorwoche hatte sie sich wie ein Feigling freigenommen, nun aber beschlossen, damit müsse Schluss sein. Sie würde die Spätschicht klaglos durchstehen und die widersprüchlichen Gefühle ignorieren, die sie für diesen Mann hegte … oder für diesen Vampir? Schließlich war sie ein Profi.
»Dann einen schönen Tag, Mariposa. Wir sehen uns morgen. Heute Abend bin ich mit Caspar verabredet.«
»Toll. Viel Spaß. Und mach nichts … ach, ich will mir das gar nicht vorstellen. Bye!« Sie küsste ihre Großmutter auf die Wange und ging zur Tür.
Als sie aus der Einfahrt setzte, sah sie den Van am Ende der Straße. Er folgte ihr vorsichtig in dem gewohnten Abstand. Die allgegenwärtige Familienkutsche hatte sie erst wahnsinnig gemacht, doch als sie eines Abends bemerkte, dass Giovanni dem Auto einen zufriedenen Blick zuwarf, war ihr klar geworden, dass er die Bewachung veranlasst hatte.
Anfangs war sie darüber verärgert, dann aufgebracht gewesen, doch je länger sie darüber nachgedacht hatte, wie viel sich in ihrer Welt geändert hatte, und je mehr sie sich der Gefahr bewusst wurde, die Giovanni und Carwyn angedeutet hatten, desto mehr vermochte sie dem Gedanken abzugewinnen, dass sich jemand um ihre Sicherheit kümmerte.
Sie blickte in den Rückspiegel und nahm die Ausfahrt zur Universität.
Na bitte, dachte sie, immer noch da.
Sie war nicht dumm; sie wusste, dass Giovanni sie mit einem Hintergedanken eingestellt hatte, aber sie war bereit, sich darauf einzulassen, falls er ihren Vater tatsächlich finden konnte. Erst als die Briefe eingetroffen waren, war ihr das Ausmaß der Gefahr, in der sie schwebte, allmählich bewusst geworden.
Falls ihr Vater umgebracht worden war, weil er etwas über diese Bücher herausgefunden hatte, wer konnte dann sagen, ihr Leben sei nicht auch in Gefahr?
»In was für einen Mist hast du mich reingezogen, Dad?«, fragte sie sich zum tausendsten Mal, als sie auf einen der stark belegten Parkplätze fuhr. Ob ihr Vater wusste, dass er sie in Gefahr gebracht hatte? Ob er überhaupt an sie dachte?
Wenn sie nach ihm fragte, antwortete Giovanni stets, er warte noch immer auf Nachricht. Von wem oder auf welche, wusste sie nicht.
Als sie zur Bibliothek ging, um ihre Schicht zu beginnen, hatte sie alle Gedanken an Dr. Giovanni Vecchio erfolgreich verdrängt. Doch als sie Dr. Christiansen und Charlotte im vierten Stock über einen ihr inzwischen vertrauten Typ von Versandschachtel gebeugt sah, die bestimmt aus Ferrara kam, kehrte das Verdrängte mit Macht zurück.
Dr. Christiansen blickte lächelnd auf. »Es ist noch ein Brief gekommen!«
»Logisch«, brummte sie in sich hinein.
Sie brachte ihre Tasche hinter der Aufsichtstheke unter und gesellte sich zu den beiden. Auf das Pergament warf sie nur einen kurzen Blick und griff nach den beigefügten Blättern.
»Ich mache Kopien für die nächste Professorenflut.« Beatrice nahm die Aufzeichnungen, die auch eine Übersetzung enthielten, mit in die Kopier- und Fotostelle.
Stunden später saß sie im leeren Lesesaal und studierte die Übersetzung des dritten Pico-Briefs. Es hatte sich noch nicht herumgesprochen, dass ein weiteres Schreiben aus der Renaissance eingetroffen war – der Saal war menschenleer. Es handelte sich um einen weiteren Brief des Gelehrten Angelo Poliziano; wieder ging es um die mystischen Bücher in der Bibliothek von Signore Andros, aber auch um eine Reise nach Paris, die Pico antreten wollte; Poliziano erkundigte sich zudem nach dem kleinen Jungen, doch es war der dritte Abschnitt, der Beatrices besondere Aufmerksamkeit erregte.
Ich will dieses Thema hier nicht vertiefen, hoffe aber, in der Angelegenheit G. bald Antwort von Dir zu bekommen. Denk nicht, Dein Schreiben, dem die Unterschrift fehlt, sei unbemerkt geblieben. Deine Sonette wurden sogar in Lorenzos Privatgemächern gelesen. Obwohl sie hervorragend gearbeitet sind und zum Besten gehören, was Du geschrieben hast, möchte ich
Weitere Kostenlose Bücher