Das verborgene Feuer
das einsam auf seinem Tisch in der Nähe der Aufsichtstheke lag, und grinste in die zwinkernden Augen des gut gelaunten Gelehrten.
»Im Moment langsam, da ich Miss De Novo mit Fragen quäle. Ich mache mich lieber wieder an die Arbeit und lasse sie Ihren Brief aus dem Magazin bringen.«
»Ach, ich möchte nicht stören … aber doch, ja, das wäre gut. Ich bin sehr gespannt auf das neue Dokument.«
Beatrice lachte leise über die beiden, füllte den Bestellschein aus und ging ins Magazin, um den Brief für Dr. Scalia zu holen – und auch gleich den für den Professor, der um acht kommen würde. Auf dem Rückweg stolperte sie am Ausgang des Magazins, und eine der Briefschachteln rutschte ihr aus den Händen.
»Oh!«, rief sie, doch bevor die Schachtel den Boden erreichte, hatte Giovanni sie schon mit unmenschlicher Geschwindigkeit aufgefangen. Dabei warf er Dr. Scalia über die Schulter einen Blick zu, doch der hatte ihnen bereits den Rücken zugewandt und packte seine Notizbücher aus.
Beatrice schüttelte den Kopf und sagte lautlos: »Das war knapp.«
»In Ihrer Anwesenheit vergesse ich mich immer wieder, Beatrice«, flüsterte er zurück.
Unversehens ließ seine Nähe sie erröten. Rasch wandte sie sich ab, stellte die eine Schachtel, um von sich abzulenken, auf die Aufsichtstheke und wünschte, er würde ihren plötzlich rasenden Puls nicht hören.
»Beatrice«, flüsterte er. Sie atmete tief ein, sah sich um und blickte ihm in die Augen, in denen jene seltsame Intensität brannte, die ihr oft auffiel, wenn Energie ihn knisternd umgab. Sie wusste nicht, was seine Augen so verwandelte, doch nun waren sie von fast wirbelndem Blaugrün – der Farbe, die sie auf Fotos des Mittelmeers im gleißenden Sonnenlicht gesehen hatte.
Seine Finger strichen über ihre, als er ihr die andere Schachtel mit dem kostbaren neuen Brief gab, doch sie löste sich von seinem Blick und brachte Dr. Scalia das Dokument. Als sie Giovanni an seinen Tisch zurückkehren und mit dem Abschreiben beginnen sah, nahm auch sie wieder an ihrer Theke Platz und zog die Übersetzung des Pico-Briefs hervor.
Er war wieder im Gefängnis. Diesmal in Paris, wo seine Freunde keinen so großen Einfluss hatten.
Wir arbeiten auf Deine rasche Entlassung hin, und ich hoffe, Du verlierst bis dahin nicht den Mut. Zu erfahren, wie schlecht Du behandelt wirst, hat mich sehr betrübt. Hoffentlich hast Du nun besseren Zugang zu Deinen Büchern und zu Jacopo, obwohl Dein Mann mir versichert hat, dass man sich gut um ihn kümmert.
Sie hatte den Brief nun zum dritten Mal gelesen und trug gerade etwas in ihr sich rasch füllendes Notizbuch ein, als die Tür aufging. Beatrice sah hoch und spürte sofort die Energie, die zischend in den Saal strömte. Sie blickte zur Tür hin und sah einen attraktiven Mann von etwa fünfunddreißig Jahren lächelnd auf ihre Theke zukommen.
Etwas an ihm ließ sie stutzen, und im nächsten Moment wusste sie, was es war.
Er war eindeutig ein Vampir.
Ein heftiges Zittern lief ihr über den Rücken. Mit blonden Locken, sanften blauen Augen und beinahe femininen Zügen war er mehr als gut aussehend und erinnerte Beatrice an ein Gemälde von Botticelli, das sie während ihrer jüngsten Recherchen zur italienischen Renaissance gesehen hatte. Doch das Licht in seinen lächelnden Augen war kalt, und sie sah Giovanni an, um sich zu beruhigen.
Leider war Giovannis Miene alles andere als beruhigend. Seine Nüstern blähten sich, und er wirkte so aufgebracht wie nie. Sofort warf sie Dr. Scalia einen raschen Blick zu, um zu sehen, ob er etwas bemerkt hatte. Zum Glück war der gut gelaunte Gelehrte selig in seine Arbeit versunken und nahm nichts anderes wahr.
Giovanni stand auf, ging zur Theke, kam dabei an dem Tisch von Dr. Scalia vorbei und legte dem Gelehrten die Hand auf die Schulter. Der kleine Professor erhob sich sogleich, packte seine Sachen und verließ wortlos den Saal. Zu dritt warteten Beatrice, Giovanni und der neue Vampir, bis die Tür zum Treppenhaus am Ende des Flurs zufiel.
Giovanni bewegte sich so rasch, dass Beatrice fast übersehen hätte, wie er den blonden Vampir am Hals packte, ihn die Wand hochschob und ihn dort hängen ließ. Blaues Feuer spielte über seine Hände, und die Manschetten seines Oxford-Hemds begannen zu rauchen. Doch bevor der Rauch zur Flamme wurde, wurde er gelöscht, da alle Feuchtigkeit im Saal dem namenlosen Mann zustrebte, der ein verzerrtes Lächeln aufgesetzt hatte.
Aber natürlich,
dachte
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