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Das verborgene Kind

Das verborgene Kind

Titel: Das verborgene Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Willett
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»Du bist überzeugt davon, dass du einen Zwillingsbruder hattest, der gestorben ist?«
    Er nickte. »Wenn man darüber nachdenkt, passt alles zusammen. Es erklärt, wie sich Mum uns gegenüber verhalten hat, gegenüber dir und mir, meine ich. Verstehst du, ich kann mich erinnern, dass sie früher glücklich war. Ich habe Erinnerungen daran, wie sie mit mir und noch jemand anderem gespielt hat und lachte, und dann wurde mir klar, dass das vor deiner Geburt war. Deshalb muss da noch ein anderes Kind gewesen sein. Und es erklärt, warum ich immer dieses Gefühl gehabt habe, von jemandem getrennt worden zu sein.«
    »Und wie lange vermutest du das schon?«
    Er schüttelte den Kopf und zuckte die Achseln. »Nicht lange. Trotzdem habe ich jetzt das Gefühl, es immer schon gewusst zu haben. Natürlich war es nicht hilfreich, dass niemand auch nur von ihm gesprochen hat. Wenn man sehr klein ist, muss die Erinnerung genährt werden, nicht wahr? Jedenfalls habe ich vor ein paar Wochen diese Bilder gefunden und die kleine geisterhafte Gestalt gesehen; und da hatte ich dieses starke Gefühl der Identifikation. Ich glaube, Georges Zwillingsbruder wurde tot geboren; deswegen existiert, abgesehen von dem Cherub, keine Spur von ihm. Milo kann sich nicht daran erinnern, je von ihm gehört zu haben. Aber Helena hätte ihn nie vergessen, oder?«
    Im erschauderte. Sie schlang die Arme um den Körper und blickte aus dem Fenster, wo Rosie, fest an Lotties Hand geklammert, unsichere Schritte machte und vor Freude kreischte.
    »Natürlich nicht. Oh, Matt, wie schrecklich! Die arme Helena! Und die arme Mum! Aber du glaubst, dass dein Zwilling gelebt hat?«
    Er nickte. »Verstehst du, ich erinnere mich an ihn. Ich weiß noch, dass ich zugesehen habe, wie Mum ihn aufgehoben und in die Höhe geschwungen hat, und ich erinnere mich, dass ich ihm gegenübergesessen und ihn angeschaut habe – vielleicht in der Badewanne oder im Kinderwagen. Es war, als sähe ich mich selbst. Es sind nur flüchtige Eindrücke, aber inzwischen bin ich mir sicher.«
    »Aber was ist ihm wohl zugestoßen?«
    »Ich vermute, dass er in Afghanistan an einer Krankheit gestorben ist und Mum es danach einfach nicht mehr ertragen konnte. Verstehst du? Ihn dort zurückzulassen, als wir nach Hause zurückgekehrt sind. Ich glaube, Dad hat die Leute gebeten, nicht darüber zu reden, weil sie das so sehr bestürzt hat. Und dann ist er ebenfalls dort draußen gestorben, und das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat.«
    »Oh Gott, das ist so traurig!« Tränen standen in ihren Augen. »Wie schrecklich für dich, Matt!«
    »Auf eine Art schon, aber andererseits ist es auch eine große Erleichterung. Es erklärt all die sonderbaren Gefühle, die ich habe. Ich wünschte nur, wir hätten einen Beweis dafür, aber das alles ist so lange her, und es ist niemand mehr da, den man danach fragen könnte. Glaubst du, es ist wahr?«
    Sie sah ihn durchdringend an. »Wenn du es glaubst, dann glaube ich es auch. Es würde erklären, warum Mum so unglücklich war. Ich kann nachfühlen, wie schrecklich es wäre, ein Kind zu verlieren, noch dazu in einem fremden Land. Und dann ist Dad auch noch gestorben. Wenn es für dich einen Sinn ergibt und du glaubst, dich an deinen Bruder zu erinnern ... Warum glaubst du eigentlich, dass dein Zwilling ein ›er‹ war?«
    Er runzelte die Stirn und überlegte. »Es fühlt sich einfach richtig an. Und ich glaube, dass es die Fotos erklärt.«
    »Fotos? Ach, die von dir, auf denen ich nicht dabei bin. Auf denen du die Kleidungsstücke und Sachen nicht wiedererkennst?«
    »Hm. Ich frage mich, ob sie die gemacht hat, um so zu tun, als wäre er noch irgendwo am Leben. Ganz ähnlich wie der Geist auf den Gemälden. Als eine Art Gedenken.«
    »Ich finde das ein bisschen unheimlich. Aber wenn es für dich okay ist ... Es ist nur ein so schrecklicher Gedanke, dass wir einen Bruder hatten und nicht mal wissen, wie er hieß oder sonst etwas. Irgendetwas muss doch zu finden sein. Was ist mit einer Geburtsurkunde?«
    »Ich habe alles, was wir haben, durchforstet, und ich glaube, jemand hat die Spuren äußerst gründlich verwischt.«
    »Also ich finde das verkehrt.« Im sah wieder aus dem Fenster. »Ich finde, wir hatten ein Recht darauf, die Wahrheit zu erfahren.«
    »Das kommt wahrscheinlich darauf an, wie verzweifelt sie war. Versuch es mal von dieser Warte aus zu betrachten.«
    »Das versuche ich ja«, antwortete Im, den Blick auf ihre Tochter

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