Das verborgene Kind
Helen und die Kinder unterstützt hatte. Tom hatte Helen genug Geld für den Kauf der Wohnung hinterlassen, aber eben auch nicht viel mehr; und Lottie hatte weit mehr beigetragen als nur ihren Mietanteil.
»Ich liebe sie, verstehst du«, hatte sie ihm erklärt, als er etwas darüber gemurmelt hatte, sie solle doch ausnahmsweise einmal an sich selbst denken. »Helen kann nicht arbeiten gehen, weil sie vollkommen unzuverlässig ist, und ich kann sie und die Kinder doch nicht im Stich lassen.«
Er hatte noch etwas darüber gebrummt, dass sie bei ihm immer ein Zuhause haben werde, und sie war plötzlich von ihrem Stuhl aufgestanden, hatte die Arme um ihn gelegt und ihn gedrückt. Die kleine Lottie, die drollige kleine Lottie. Mit ihrem dunklen Haarschopf und diesen seltsamen grauen Augen, die von rußschwarzen Wimpern gerahmt wurden, war sie so ein merkwürdiges kleines Mädchen gewesen. Bereits mit dreißig war ihr Haar silbergrau gewesen, aber Lottie hatte sich nie damit abgegeben, es zu färben. Ihm hatte es gefallen. Sie hatte so faszinierend, so anders ausgesehen, und irgendwie hatte das zu ihr gepasst. Natürlich hatte Helen sich in ihrem Testament erkenntlich gezeigt, aber nach den hohen Ausgaben für den Pflegedienst und schließlich das Heim war am Ende für keinen von ihnen viel übrig geblieben.
Insgeheim war er auf eine egoistische Art froh darüber. Es hatte ihn überrascht, wie zutiefst erleichtert er gewesen war, als Lottie letztes Jahr, nachdem sie in den Vorruhestand gegangen war, zugestimmt hatte, nach High House zu ziehen. Sie hätte so leicht in London bei allen ihren Freunden bleiben können; aber sie hatte erklärt, sie habe hier ebenfalls Freunde und würde lieber in High House leben als anderswo. Sie hatten dennoch beide gewusst, dass der eigentliche Grund seine bevorstehende Operation gewesen war; Lottie hatte hier sein wollen, um ihn zu versorgen. Natürlich hatte Sara einen Aufstand veranstaltet; sie hatte die Komplikationen gesehen, die leicht daraus erwachsen könnten, und ihm gründlich die Meinung gesagt.
»Du hast noch nie an jemanden außer an dich selbst gedacht«, hatte sie erklärt. »Wo soll Lottie hin, wenn du stirbst? Denk doch an den Altersunterschied zwischen euch! Es ist viel besser für sie, wenn sie jetzt ihr Leben auf die Reihe kriegt. Du hast sie immer verwöhnt und beschützt. Jetzt wird es langsam Zeit, dass sie in der realen Welt lebt.«
Darüber hatte er laut gelacht. Es war absolut nicht in Ordnung, dass Sara, die ihr ganzes Leben lang unterstützt und versorgt worden war, Lottie kritisierte, die Vollzeit gearbeitet und gleichzeitig versucht hatte, Helen und ihre Kinder glücklich zu machen, und das hatte er Sara auch gesagt.
»Ich werde dafür sorgen, dass Lottie so lange hierbleiben kann, wie sie möchte«, hatte er ihr erklärt – und Sara hatte ihn regelrecht angeschrien, sodass er einfach aufgelegt hatte. Und doch hatte er Sara einmal geliebt.
Eine schreckliche Traurigkeit ergriff plötzlich Besitz von Milo. Sara war so schön, so amüsant, so witzig gewesen – und so verliebt in ihn. Zumindest hatte es so ausgesehen. Er war natürlich naiv gewesen mit seinen zwei- oder dreiundzwanzig und zu jung, um viel von der Liebe zu verstehen. Es dauerte nicht lange, bis ihm klar wurde, dass Saras liebevolles Verhalten in der Öffentlichkeit sich stark von der giftigen, kritischen Art unterschied, die sie an den Tag legte, wenn sie beide allein waren. Einmal hatte er eine Bemerkung darüber gemacht, und sie hatte ihn scharf in die Schranken gewiesen. Da waren sie schon verheiratet gewesen, und er hatte allmählich begriffen, dass die Ehe mit ihm für sie die Flucht aus einem langweiligen, einsamen Leben mit einem alten, distanzierten Vater und einer lästigen kleinen Schwester bedeutet hatte.
Armer, alter Liebling!, dachte er jetzt. Arme, alte Sara!
Sie hatte sich wegen eines reichen Börsenmaklers von ihm scheiden lassen, der sie mit einer Geliebten nach der anderen betrogen hatte. Schließlich hatte sie nach der Scheidung mit einem winzigen Haus in Sussex, einer einigermaßen anständigen Unterhaltsvereinbarung und zutiefst gedemütigt vor ihren Freunden dagestanden. Arme Sara! Damals hatte sie sich ihm wieder genähert und versucht, ihn sich mit Schmeicheleien zurückzuholen.
Milo schüttelte den Kopf. Das hatte alles nichts genutzt. Inzwischen hatte er sich in Venetia verliebt und sie sich in ihn. Anfangs hatten sie beide dagegen angekämpft und versucht, so zu
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