Das verborgene Kind
über die zahlreichen Reisen gesprochen, die er in den letzten zwei Jahren unternommen hatte, und erzählt, dass er immer noch keine Inspiration für das neue Buch habe, obwohl er seine Eindrücke für ein paar Reiseberichte und Kurzgeschichten habe nutzen können. Und nicht nur das, hatte er ihr gestanden; es sei, als habe das Reisen seine Unruhe nur noch verschlimmert und sein Gefühl, unvollständig zu sein, verstärkt.
Sie hatte die Spülmaschine beladen und Teller gespült. Die Küche war lang und schmal, und sie bewegten sich darin wie Tänzer und hielten immer wieder an und warteten, um einander vorbeizulassen, während sie zwischen Küche und Frühstückszimmer hin- und hergingen.
»Hast du einmal daran gedacht, für eine Weile herzukommen?«, hatte sie gefragt. »Oh, nicht unbedingt hierher, ins High House . Aber ein bisschen näher zu uns allen. Weißt du, Matt, ich habe so ein Gefühl, dass die Antwort auf deine Suche hier bei uns liegt. Keine Ahnung, wieso. Ich habe nur das Gefühl, dass du irgendwie eine Erklärung für deine Rastlosigkeit und das Thema deines neuen Buchs finden wirst und dass alles zusammenhängt.«
Ein Weinglas in jeder Hand, hatte er innegehalten, um sie anzusehen, und sich über alles gewünscht, er könne ihr glauben. Er hatte großes Vertrauen zu Lottie.
»Was meinst du denn?« Er klang wie ein Kind, das sich gern überzeugen lassen will.
Sie hatte die Stirn gerunzelt, ihm die Weingläser abgenommen und sie in die Spülmaschine gestellt. Matt wusste, dass Milo später hereinkommen und alles neu beladen würde. Er schaffte es stets, dreimal mehr Geschirr unterzubringen als jeder andere.
»Es ist nur so ein Gefühl von mir«, hatte sie geantwortet, »dass beides miteinander verbunden ist und dass du einen Schritt von allem zurücktreten und abwarten solltest.«
»Und du glaubst, in London kann ich das nicht?«
»Nein. Dort ist zu viel los, und selbst deine Reisen haben einen tieferen Sinn. Das sind nicht einfach nur Ferien, stimmt’s? Du machst dir ständig Notizen und überprüfst deine Eindrücke auf Ideen hin. Mach dich für ein paar Monate davon frei.«
»Und die Sache mit der Familie? Dass ich bei euch allen bin?«
Sie hatte sich die Hände abgetrocknet und sich umgedreht, um ihn anzusehen.
»Deine Mutter ist gerade gestorben, Matt. Der Tod eines Menschen, der uns nahegestanden hat, weckt in uns alle möglichen Ängste und Schmerzen. Ich glaube, dass du nie richtig mit Toms Tod fertig geworden bist, obwohl du im Lauf der Jahre viel darüber geschrieben hast. Du brauchst in deinem Leben nicht noch mehr Lärm und Geschäftigkeit, keine weiteren Reisen, um die Ängste zu betäuben und die Trauer zu unterdrücken. Du musst den Gedanken und Erinnerungen die Möglichkeit geben, an die Oberfläche zu steigen. Ich meine nicht, dass du introspektiv werden und dir das Hirn zermartern sollst, damit du dich erinnerst. Du solltest dir einfach nur eine ruhige Zeit machen in der Nähe von Menschen, die du liebst, für den Fall, dass du Gesellschaft brauchst oder über die Vergangenheit reden willst. Wir haben Angst vor der Stille, nicht wahr? Den Fernseher einschalten, ein Buch zur Hand nehmen, einen Anruf tätigen – alles tun wir lieber, als still dazusitzen. Stets versuchen wir, dem Ort, an dem wir sind, zu entfliehen, dem Hier und Jetzt. Wir glauben, dass das Leben immer morgen oder anderswo beginnt. Aber manchmal werden durch geduldiges Warten Dinge enthüllt ...«
Sie rieb sich mit den Fingern über die Augen. »Ach, was weiß ich schon? Das sind nur so ein paar Gedanken, die mir in den letzten Tagen durch den Kopf gegangen sind, nichts weiter. Und dann bist du hier, und da sind diese Fotos ...«
»Sie sind eigenartig, nicht wahr?«, fiel er eifrig ein, erleichtert darüber, dass sie bezüglich der Bilder seine Meinung teilte. »Als hätten Mum und ich irgendwo ein geheimes Leben geführt, an das ich mich nicht erinnern kann ...«
Sichtlich schockiert über diese Vorstellung, starrte sie ihn an. »Zeig sie Imogen!«, hatte sie gemeint. »Tut mir leid, Matt. Ich versuche ehrlich, dir keine Vorschriften darüber zu machen, was du mit alldem anfangen sollst.«
»Das weiß ich doch«, hatte er rasch gesagt. »Und mir gefällt die Idee, einige Zeit in Ruhe zu verbringen. Ich könnte den ganzen Kleinkram erledigen und Ostern für ein paar Monate herkommen. Klingt nach einer großartigen Idee. Allerdings würde ich mir lieber etwas Eigenes zum Wohnen suchen.«
»Natürlich.
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