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Das verborgene Kind

Das verborgene Kind

Titel: Das verborgene Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Willett
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näher heran, und Lottie beugte sich aus dem Fenster und wedelte mit einem Schultertuch, bis er davonflog. Die beiden Schafe stupsten die reglose Gestalt sanft. Nun flog eine Krähe heran, landete bei der kleinen Gruppe und stolzierte vorwärts. Wieder starrten die Schafe sie an, und eines von ihnen lief ein Stück auf den Vogel zu, doch der hielt seine Stellung. Erneut öffnete Lottie das Fenster, und sie klatschte in die Hände, um die Krähe zu verjagen. Wenigstens war das Lamm jetzt taumelnd auf die Beine gekommen, und die Mutterschafe schirmten seinen zitternden Körper ab und beugten die Köpfe, um die Nasen an ihm zu reiben. Die Elster stieß wie ein schwarzweißer Blitz herunter, packte mit dem Schnabel die blutige Nachgeburt und zerrte sie davon. Von einem niedrigen, kahlen Ast aus sah eine missgünstige Krähe zu.
    Lottie stand noch ein Weilchen am Fenster, bis sie meinte, das Lamm sei außer Gefahr, und verließ dann ihr Zimmer. Auf dem Treppenabsatz hielt sie inne und schaute die Stufen hinauf, die zu Matts Quartier unter dem Dach führten. Inzwischen war es wieder leer. Merkwürdigerweise hatte Matt von seinen ersten Besuchen an den Dachboden mit Beschlag belegt. Sogar als kleiner Junge hatte er die Abgeschiedenheit und Privatsphäre seines Adlerhorstes geliebt, während er zugleich froh über das Wissen war, dass die Menschen, die er schätzte, nicht allzu weit entfernt waren. Lottie und Imogen hatten sich diesen Flügel geteilt, während Milos Schlafzimmer, Nicks Zimmer und die Gästezimmer am anderen Ende des Hauses lagen.
    Sie ging die Treppe hinunter, durch den Salon und in den Frühstücksraum und fragte sich dabei, wie sich Nick heute Morgen wohl fühlte. Beim Abendessen hatte eine düstere Atmosphäre geherrscht. Milo war still und ziemlich einsilbig gewesen, während Nick dankbar jeden Gesprächsfaden aufgegriffen hatte.
    Das Problem ist, dachte Lottie, während sie sich bückte, um Puds morgendliche Begrüßung entgegenzunehmen, dass in Zeiten wie diesen fast jedes Thema leicht in gefährliche Wasser führen kann. Sie hatte sich den Kopf zerbrochen, um ein Thema zu finden, das nicht irgendwie mit Nicks Familie oder Arbeit zu tun hatte, und sich schließlich entschlossen, Matts Stolz auf dem Altar der gesellschaftlichen Notwendigkeit zu opfern. Sie hatten über die Schwierigkeit gesprochen, auf einen erfolgreichen Roman und einen ebensolchen Film etwas genauso Gutes, wenn nicht Besseres folgen zu lassen, und über den Druck, unter dem Matt stand. Nick hatte sich mitfühlend gezeigt und vollkommen einverstanden mit Lotties Gedanken, dass Matt eine Auszeit von London brauche, wo er ständig daran erinnert wurde, dass er nichts zustande brachte.
    »Er kommt zu Ostern her«, hatte sie erklärt. »Momentan findet er nichts, was er mieten könnte, also wird er eine Zeit lang hier wohnen. Er möchte sich gern ein paar Monate frei nehmen.«
    Sie hatte Nick zugelächelt, nicht wirklich, um seine Zustimmung einzuholen; aber sie hoffte, dass er sich von der Aussicht, dass Matt so lange hier sein würde, nicht in irgendeiner Weise verdrängt fühlen würde.
    »Das ist eine großartige Idee«, hatte er sofort gemeint. »Vielleicht findet er ja eine Inspiration, wenn er einmal die gewohnte Umgebung hinter sich lässt. Mir hat Epiphanie sehr gut gefallen. Ein phantastisches Buch, oder? Wie eine Mischung aus Herr der Ringe und Harry Potter . Es ist randvoll mit Bildern und Handlung und Einfällen. Bestimmt würde er Jahre brauchen, um noch einmal so eins zu schreiben. Oder will er vielleicht dieses Mal etwas ganz anderes probieren?«
    Sie hatte den Kopf geschüttelt. »Ich glaube, er weiß nicht, was er will. Aber er gibt sich große Mühe, sich etwas einfallen zu lassen. Er muss Zeit mit Im und Rosie verbringen, an einem normalen Familienleben teilnehmen.«
    »Und dann noch der Tod seiner Mum. Er braucht auch Zeit, um den zu verarbeiten. Die arme alte Helen! Wahrscheinlich belastet es Matt und Im, dass sie so ein schweres Leben hatte.«
    Sie war gerührt über sein intuitives Verständnis gewesen und hatte ihn mit herzlicher Zuneigung angelächelt; und er hatte ihr Lächeln erwidert; ein so aufrichtig trauriges und so wenig von sich eingenommenes Lächeln, dass sie am liebsten aufgestanden und um den Tisch herumgegangen wäre, um ihn zu umarmen. Und dann hatte sich Milo geregt, Wein nachgeschenkt und über den Verkauf des Sommerhauses zu sprechen begonnen. Sie hatte sich verkrampft, aber es war klar, dass die

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