Das verborgene Kind
ziemlich warm vor.
»Der Unterschied wird Ihnen auffallen«, hatte Mrs Moreton vorhergesagt. »Wir ziehen immer die Mäntel an, wenn wir zum High House hinaufgehen, um den Brigadier zu besuchen.«
Sie hatte recht gehabt. Das Sommerhaus war behaglich – aber es war noch mehr daran. Matt versuchte, das seltsame Gefühl zu analysieren, das ihn bei jedem Besuch hier überfiel. Es war, als hülle ihn eine freundliche Präsenz ein und lindere seine tief verwurzelte Einsamkeit. Da Matt die meiste Zeit in dem Paralleluniversum lebte, das in der Welt seiner Phantasie existierte, hatte er kein Problem damit, diese Vorstellung zu akzeptieren. Sie gefiel ihm. Ihm war instinktiv klar, dass diese Präsenz schon lange vor den Moretons da gewesen war – obwohl er erkannte, dass die beiden guten Seelen zu dieser außerordentlichen Atmosphäre beigetragen hatten. Aber diese Atmosphäre ging über fröhliche Picknicks und Familienzusammenkünfte hinaus und entsprang irgendwie der fernen Vergangenheit.
Matt beobachtete im Schutz des Verandadaches, wie der Regen schräg auf die smaragdgrüne Wiese fiel, und lauschte dem Gurgeln und Plätschern des Bachs. Er holte tief Luft, leerte seinen Kopf und wartete. Mit einem Mal fühlte er sich von Frieden umgeben, einer Empfindung, die ihm bisher nahezu fremd gewesen war, und die Freude, die er spürte, war so groß, dass ihm Tränen in den Augen brannten. Der Regen prasselte auf die Blätter der drei hohen Rhododendren, aber Matt nahm ihn nicht länger wahr. Das heilende Gefühl von Wohlbefinden füllte ihn vollkommen aus. Schweigend stand er da und nahm es an.
Nun richtete er sich auf, schaute sich um, als erwache er aus einem Wachtraum, und ging wieder ins Haus. Es war nur spärlich möbliert, schließlich hatte er es nicht eilig. Er wollte sich Zeit lassen, um zu erkennen, was er bräuchte, und herauszufinden, wo er arbeiten würde. Denn einer Sache war er sich inzwischen sicher: Hier würde er sein neues Buch schreiben. Das war ein berauschender Gedanke, obwohl er immer noch keine Ahnung hatte, wovon es handeln würde. Für den Moment mochte er den freien Raum, die Fenster ohne Vorhänge und den Umstand, dass nichts herumlag. Durch die Glastüren der Veranda flutete grünliches, wasserklares Licht herein, das von den hell gestrichenen Holzpaneelen der Wände widerschien.
Nachts konnte Matt vom Fenster des Treppenabsatzes aus die Sterne ziehen sehen, verstreute, eisige Fragmente, die in der schwarzen Dunkelheit glitzerten. Er wanderte von einem Zimmer ins andere und betrachtete voller Vergnügen die eleganten Proportionen und das Licht, das in schrägen Strahlen auf die polierten Eichenböden fiel, die Spülküche im hinteren Teil des Hauses mit dem gewaltigen antiken Becken aus Steingut und das altmodische Badezimmer, das darüberlag. Ihm gefielen die hübschen Bücherschränke mit den Glasfronten, die im Wohnzimmer rechts und links des Kamins aus rotem Sandstein in Wandnischen eingebaut waren, und er fragte sich, ob er in diesem Raum arbeiten solle.
Das überwältigende Gefühl, dass er das alles besaß, war ihm neu; und doch war »besitzen« das falsche Wort. Es war, als habe er immer hierher gehört, als sei dies rechtmäßig sein Heim, in dem er sich so behaglich wie in seiner eigenen Haut fühlte. Er wusste, dass alles, womit er das Sommerhaus einrichtete, im Einklang mit diesem Gefühl stehen müsse. Milo hatte ihm das eine oder andere Stück aus dem High House angeboten, aber Matt hatte höflich, aber bestimmt abgelehnt. Er warte noch ab, hatte er ihm erklärt, um ein Gefühl für das Haus zu bekommen. Er sah, dass Lottie ihn verstand – und Milo war so froh darüber, dass das Sommerhaus in der Familie blieb, dass er ihn nicht bedrängt hatte. Und Imogen war so beschäftigt mit dem Umzug in die ausgebaute Scheune gewesen und damit, Rosie dort einzugewöhnen, dass auch sie keine Gelegenheit gehabt hatte, ihn zur Eile anzutreiben.
»Es ist wunderschön«, hatte sie gemeint, als sie mit ihm herumgegangen war und Vorschläge für die Möblierung gemacht hatte. »Wirklich. Ich bin zwar immer noch neidisch – aber eigentlich liebe ich die Scheune. Um ehrlich zu sein, ist sie für unsere Bedürfnisse sogar viel besser geschnitten. Rosie lernt gerade laufen, und mit dem Bach am Ende der Wiese hätte ich hier keine Minute Ruhe. Wir hätten gleich einen Zaun setzen müssen, was eine Schande gewesen wäre.«
Annabel war seit ein paar Wochen in einer ziemlich seltsamen Stimmung. Sie
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