Das verborgene Kind
jemand gerade erst daraus aufgestanden, er schien sich noch zu bewegen; und im Hintergrund hing ein Strohhut mit hübschen flatternden Bändern am Geländer. Die Unmittelbarkeit und Lebendigkeit, die diese Aquarelle verströmten, packte Matt. In stiller Freude schaute und schaute er, und erst, als Milo plötzlich hinter ihn trat, kehrte er wieder in die Gegenwart zurück.
»Sie sind wunderschön«, sagte Matt. »Außerordentlich. Wo hast du sie entdeckt? Ich meine ...« Er schüttelte den Kopf, weil er außerstande war, sich vernünftig auszudrücken. »Sie sind einfach vollkommen.«
»Ich wusste, dass ich sie noch irgendwo hatte.« Milo wirkte hocherfreut über Matts Reaktion. »Ich habe überall danach gesucht. Und dann habe ich sie in dem kleinen Ankleideraum gefunden, der neben dem Gästezimmer liegt. Vermutlich hat meine Mutter sie dort aufgehängt. Ich glaube, sie fand sie ein wenig altmodisch und nichtssagend. Sie mochte eher Ölgemälde.«
»Aber wer hat sie gemalt?« Noch während er die Frage stellte, wusste er, wie die Antwort lautete, und Lottie, die ihn beobachtete, schien es ebenfalls zu wissen.
»Meine Urgroßmutter hat das Sommerhaus bauen lassen, damit sie in Ruhe malen konnte«, erklärte Milo. »Sie hat viel Zeit dort verbracht. Deshalb kursierten alle möglichen Gerüchte, die über die Jahre hinweg überliefert worden sind. Einige behaupten, sie habe einen heimlichen Geliebten gehabt – sie war viel jünger als ihr Mann –, andere meinen, sie habe eine große Tragödie erlebt, und wieder andere sind der Ansicht, sie sei einfach eine Einsiedlerin gewesen, die gern malte. Jedenfalls hat mein Urgroßvater das Haus für sie entworfen. Der arme Kerl ist in Bloemfontein gefallen. Er ist an Typhus gestorben, ehe er überhaupt einen Schuss abgeben konnte. Danach hat sie, wie man sich erzählt, praktisch im Sommerhaus gelebt, und später hat ihr Sohn den Besitz übernommen. Das war George, mein Großvater. Er ist im Ersten Weltkrieg verwundet worden und kurz darauf gestorben. Jedenfalls habe ich mich gefragt, ob du die Bilder vielleicht haben möchtest.«
Matt starrte die Aquarelle an. »Sehr gern«, sagte er schließlich. »Danke.«
»Sie wirken so frisch«, meinte Lottie leise. »Offenbar hat sie ihr kleines Haus sehr geliebt.«
»Ja.« Er konnte sich nicht von den Bildern losreißen. »Und sie sollen dorthin zurückkehren, wo sie hingehören.«
Milo war entzückt darüber, welchen Anklang seine Fundstücke fanden. »Ich habe noch etwas anderes.«
Beinahe argwöhnisch drehte sich Matt um. Nach den Bildern musste alles andere zwangsläufig eine furchtbare Enttäuschung werden – aber nein. Da stand, durch das Sofa halb verborgen, ein tiefer, mit Samt bezogener Sessel mit geschwungenen hölzernen Armlehnen, der Sessel von einem der Aquarelle.
»Er war im selben Raum wie die Bilder«, erklärte Milo, »und ich weiß schon, dass sich niemand in deine Pläne einmischen soll, Matt. Aber wir dachten, du hättest ihn gern, weil er auf diesem Bild dort dargestellt ist. Offensichtlich stammt er aus dem Sommerhaus.«
Der staubige rosa Samtbezug war abwetzt, aber das Rosenholz schimmerte im Licht des Feuers. Matt strich mit dem Finger über das Schnitzwerk. Milo und Lottie beobachteten ihn und teilten seine Freude. Er lächelte und war so gerührt, dass ihm nichts zu sagen einfiel, bei dem er nicht in Tränen ausgebrochen wäre. Milo zwinkerte Lottie zu und nickte kaum wahrnehmbar. Er murmelte etwas darüber, dass er noch zu tun habe, und ging hinaus.
Lottie folgte ihm, und Matt blieb allein zurück.
25. Kapitel
D er Welpe hatte eine hölzerne Wäscheklammer gefunden. Zuerst schnüffelte er vorsichtig daran, bevor er mit wachsendem Selbstbewusstsein danach schnappte und tat, als kämpfe er damit. Er knurrte, schüttelte sie und ließ sie wieder fallen. Ein Windstoß umwehte ihn und lenkte ihn ab, und er stürzte sich auf ein trockenes Blatt, das unter seinem Ansturm bröckelte. Verblüfft setzte er sich und betrachtete die Überreste des Blatts.
Imogen, die ihre Wäsche aufhängte, lachte. Der kleine Hund war noch ein guter Grund mehr, in der ausgebauten Scheune zu leben. Hier hatte er viel Platz, und nachts schlief er in einem Hauswirtschaftsraum mit Schieferboden, der leicht zu wischen war, wenn dem Welpen ein »Unfall« passierte. Wenn er älter war, würden sie herrliche Spaziergänge über den Goat Hill, zum Hochplateau der Chains hinauf und über den Tarka-Pfad unternehmen. Er war ein netter
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