Das verborgene Wort
Kilgenstein war verhaftet worden.
Der Hund sei es gewesen, zischelte die Apothekersfrau. Ihr scharfes Matronengesicht, das immer den Ausdruck eines unbestimmten Hungers trug, blickte in die Runde der Frauen, als wollte sie ihnen mit Zähnen und Klauen entreißen, was diese wußten und sie nicht. Der Hund? echote die Stimme einer Frau, so klein, daß ihr Kopf nicht über die Sitzlehne reichte. Ja, nickte Frau Wirsing, daß die Netzperlen klingelten. Der Hund. Sie kennen doch alle den Hund vom Schloßhof? Murmeln, Stöhnen, kleine Aufschreie. Alle kannten die Bulldogge, die mit Vorliebe an dem mannshohen Zaun des Parks entlangstrich und bei jeder Annäherung knurrend die Zähne bleckte. Einmal durch diesen Zaun zu schlüpfen war eine Mutprobe, die kein Junge im Dorf auslassen konnte. Mädchen mußten draußen bleiben und staunend das Maul aufreißen. Für den Schloßhof war der Hund, was ein Drache für die Märchenburg.
Was hatte dieser Hund mit der Verhaftung des Fräuleins zu tun? Scharren, hörte ich die ruhige Stimme von Fräulein Behrens. Die Behrens war gut über Vierzig, ihr Verlobter bei Sewastopol gefallen. Sie arbeitete in Großenfeld auf dem Katasteramt. Das klang ehrfurchtgebietend. Fräulein Behrens, obwohl alleinstehend, wurde nicht als halbe Portion betrachtet. Zwischen Witwen- und Jungfrauenstand zu schweben verlieh ihr Ansehen und Gewicht, um das sogar verheiratete Frauen sie beneideten.
Gescharrt, so Fräulein Behrens, habe der Hund, da, wo die Gärtner die Beete zurechtgemacht hätten für die Einjährigen, für Stiefmütterchen und Vergißmeinnicht und Tagetes, später im Jahr. Ohne jede Anteilnahme, kühl und gemessen, als verläse sie die Wasserstände von Rhein und Weser, erzählte Fräulein Behrens, was sie wußte. Unmöglich konnte diese Stimme falsch Zeugnis ablegen wider seinen Nächsten. Und da noch nichts gepflanzt gewesen sei, die Erde aber gut gelockert und mit Torf versetzt, habe ein kräftiges Tier wie dieser Hund nicht lange gebraucht. Wie zu Großvaters Zeiten ließ ich meine Ohren an unsichtbaren Fäden direkt über den Frauen schweben. Der Hund hatte Es ausgescharrt und im Maul durchs ganze Haus getragen; es sei um die Mittagszeit gewesen, die Zugehfrau, die auch die Küche besorge, sei in Panik davongestürzt, die Kalbskoteletten in der Hand. Der Hund aber sei mit seiner Beute im Maul unbeirrt weitergelaufen bis vor des Fräuleins Tür. Dort habe er, das könne er, mit der Pfote die Tür geöffnet und Es dem Fräulein, das noch im Morgenkleid am offenen Fenster gesessen habe, vor die Füße gelegt. Dieses habe daraufhin einen Schreikrampf gekriegt, dann einen Weinkrampf und am Ende einen Starrkrampf, aus dem es nur Dr. Mickel mit einer Spritze wieder zu sich bringen konnte. Die ganze Zeit über habe Es dagelegen, von Cato zähnefletschend wie sein Eigenes verteidigt. Erst nach einem Betäubungsschuß von der Polizei habe der Hund die Beute fahrenlassen, die in einem Blechbehälter sichergestellt worden sei. Hier machte Fräulein Behrens eine Pause, setzte die Brille ab, putzte sie und setzte sie wieder auf, als könne sie, was nun käme, um so schärfer ins Auge fassen. Keine der Frauen sprach ein Wort. Nicht eine Perle bebte im Haar der Apothekersfrau. Aus den vorderen Reihen, wo die Männer saßen, brüllte Gelächter auf.
Dann wieder nichts als das Fahrtgeräusch des Busses, des Theaterbusses.
Fräulein Behrens räusperte sich. Sie wollten das Fräulein gleich mitnehmen. Aber das ließ Dr. Mickel nicht zu. Also kamen sie am nächsten Morgen. Beamte aus Möhlerath. Zwei Tage habe sie in U-Haft gesessen, jetzt sei sie in Herzogenberg. Mehr wisse sie nicht, mehr wisse niemand. Sie habe es von der Zugehfrau, niemand anderem als der Mutter ihres verstorbenen Verlobten, Gott hab ihn selig. Auf den Gesichtern der Frauen lag ein Behagen wie nach dem ersten Stillen großen Hungers. Weit entfernt von Übersättigung. >Baron< hörte ich und >aus Düsseldorfs >viel zu alt< und ein paarmal >verheiratet<. Hörte eine Frau mit grasgrünem Hut und Spitzenschleier, in dem schwarze Punkte saßen wie Fliegen: Alter schändet nicht, worauf die Apothekersfrau an ihrem Lachen fast erstickte.
Die Gesichter der Frauen schimmerten rosig, als sie sich in Düsseldorf wieder an die Arme ihrer Männer hingen, deren Mienen einen Anflug von Verdrossenheit zeigten. Es hatte sich herumgesprochen, das heutige Stück sei >modern<.
Auf der Bühne war es hell und weiß. Eine Frau ging von rechts nach links.
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