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Das verbotene Eden 01 - David & Juna

Das verbotene Eden 01 - David & Juna

Titel: Das verbotene Eden 01 - David & Juna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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schaute in das Seitenfach. Tatsächlich, da steckte es: das Buch mit dem roten Einband.
    Romeo und Julia.
    David hatte es ihr in den frühen Morgenstunden übergeben, mit der Bitte, darauf aufzupassen. Er sagte, ihm wäre wohler, wenn sie es bei sich trüge. Ob er geahnt hatte, dass er nur wenige Stunden später abgeführt würde?
    Sie strich mit ihren Fingern über den rauhen Leineneinband. Die Worte kamen ihr in Erinnerung. Simson und Gregorio. Sie erinnerte sich an das Gefühl, wie es war, als David ihr vorgelesen hatte.
    Keine Frage, die Kunst des Lesens war etwas, um das sie ihn beneidete. Was musste das für ein Gefühl sein, in fremde Welten einzutauchen, nur mit den Augen und durch das Zusammensetzen einiger kryptischer Zeichen? Buchstaben wurden zu Worten, Worte zu Sätzen, und auf einmal befand man sich in einer fremden Stadt oder in einem fremden Land. Ganze Welten ließen sich so binnen eines Wimpernschlags durchqueren. Juna spürte, welche Macht bedrucktes Papier besaß, welche Möglichkeiten, aber auch welche Versuchungen. Kein Wunder, dass das Lesen nur bestimmten Kasten vorbehalten war. Dabei war es so schön. Man konnte Abenteuer erleben, in ferne Gebiete reisen, an der Seite großer Heldinnen in die Schlacht ziehen – und etwas über die Liebe erfahren.
    Juna setzte sich unter einen schattigen Baum und begann, in dem Buch zu blättern.
    Liebe, was wusste sie eigentlich davon? Bisher hatte sie immer geglaubt, dass das, was sie und Gwen verband, Liebe sei. Gemeinsame Interessen, Tisch und Bett miteinander teilen, abends zusammen einschlafen, morgens miteinander aufwachen. Das gute Gefühl, jemanden an seiner Seite zu haben, nicht allein zu sein. Doch jetzt war sie nicht mehr so sicher. Was hier in diesem Buch geschrieben stand, entsprach so gar nicht der Vorstellung von Liebe, wie sie in Schulen und Erziehungshäusern gelehrt wurde. Da war nur die Rede davon, einen geeigneten Partner zu finden, mit dem man die tägliche Arbeit teilte und dem man sich anvertrauen konnte. Dass Liebe ein seelisches Bedürfnis war, das einen die Sekunden zählen ließ, bis der geliebte Partner zurückkehrte, das Herzklopfen und Schweißausbrüche verursachte und das einen wünschen ließ, mit jeder Faser seiner Existenz dem anderen nah zu sein – davon war nie die Rede gewesen. Und doch schien es so etwas zu geben, das Buch handelte schließlich davon. Gut, Juna hatte sich oft eingeredet, dass es ohne Gwen nicht gehen würde, aber stimmte das wirklich? War es nicht vielmehr so, dass sie sich einfach aneinander gewöhnt hatten, dass anstelle von Leidenschaft Bequemlichkeit getreten war, anstelle von Neugier Routine? Und wenn man schon bei den unangenehmen Fragen war, musste sie sich dann nicht selbst fragen, ob sie überhaupt jemals in ihrem Leben das Gefühl von echter, wahrer Liebe verspürt hatte?
    Rastlos und verwirrt blätterte sie zwischen den Seiten hin und her, als ob sie durch bloßes Anstarren den unverständlichen Zeichen irgendwelche Geheimnisse entlocken konnte. Auch die Personen auf den Bildern schienen heute verschlossener zu sein. In ihren Blicken lagen Spott und Verachtung.
Was, du kannst nicht lesen? Was willst du dann hier?,
schienen sie zu sagen. Vielleicht sollte sie sich jemandem anvertrauen. Einer Vertrauensperson, mit der sie über die Unsicherheit, die dieses Buch in ihr auslöste, reden konnte. Nur wem? Man würde sie auslachen, verspotten, eventuell sogar für standeswidriges Verhalten anzeigen.
    Sie konnte es drehen und wenden, wie sie wollte: der Schlüssel zu diesem Buch war David. Wenn ihm etwas zustieß, würde sie nie verstehen, warum Romeo und Julia freiwillig in den Tod gegangen waren.
    Doch es war nicht nur das Buch. Es war David selbst. Er entsprach so gar nicht dem Bild, das sie von den Männern hatte. Im Gegensatz zu diesem Teufel Amon, der den Überfall auf Alcmona geleitet hatte, war David sanft und sensibel. Er konnte lesen und schreiben und wusste über Dinge Bescheid, die ihr verschlossen waren. Dinge aus der Zeit vor dem Zusammenbruch. Er hatte ihr erzählt, dass er daheim im Kloster für die Bibliothek verantwortlich war und dass sie dort Hunderte, nein, Tausende von Büchern aufbewahrten.
    Außerdem war er nett.
    Sie musste an das Baby denken. Der Kleine hatte instinktiv gespürt, dass ihm von dem Mönch keine Gefahr drohte. Sie nahm sich vor, David nach dem Baby zu fragen, sobald sie ihn wiedersah. Das hieß,
falls
sie ihn wiedersah.
    Die Tempelglocke schlug vier, und sie

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