Das verbotene Eden 02 - Logan & Gwen
schlief.
Gwen strich über ihre Arme und marschierte los. Füchschen lief an ihrer Seite, ein verschwommener Fleck inmitten anderer verschwommener Flecken.
»Wie es aussieht, sind wir die Einzigen. Oder kannst du jemanden erkennen, jemanden aus deiner Familie vielleicht? Ich habe gehört, Katzen seien oft nachts unterwegs. Sehen tue ich allerdings niemanden. Nun, vielleicht ist es ja nur ein Gerücht, genau wie die Sache mit den neun Leben.«
Füchschen scherte sich nicht um Gwens Geplapper. Sie stromerte durch die Dunkelheit und untersuchte jeden Stein und jede Öffnung. Doch zum Glück waren die kleinen Nager alle verschwunden; Gwen hatte keine Lust, noch eine Maus zu beerdigen.
Ohne festes Ziel lief sie talabwärts in Richtung See. Vor ihr ragte der heilige Berg Mâlmot aus dem Wasser. Insel und Tempel lagen in tiefer Dunkelheit. Wie anders das alles bei Nacht aussah!
Kurz nach Sonnenaufgang hatte das Gebäude einen freundlichen Eindruck gemacht, doch jetzt wirkte es verwunschen und düster. Die Weiden am Ufer der Insel sahen aus wie die gebeugten Leiber alter Frauen, die ihre Hände ins Wasser hielten. Hieß es nicht, am Grunde des Sees läge eine versunkene Stadt? Manche behaupteten, an besonders klaren Tagen könne man tief unten die Ruinen zerfallener Paläste erkennen. Magdalena hatte davon gesprochen. Kein Wunder, denn sie war eine geborene Märchenerzählerin. Sie verstand es wie keine andere, spannende und aufregende Geschichten zum Besten zu geben, und hatte eine besondere Vorliebe für Sagen und Spukgeschichten, von denen sie unzählige zu kennen schien. Eine davon war die Geschichte von Artus und Nimue, der Herrin vom See. Gwen wusste nicht, wie oft sie die Sage von Excalibur, Guinevere, Lancelot und den Rittern der Tafelrunde schon gehört hatte, doch das machte nichts. Neben den Märchen der Gebrüder Grimm war es eine ihrer Lieblingsgeschichten. Besonders faszinierend fand sie den Bezug, den Magdalena zwischen Glânmor und der Artussage herstellte. War es möglich, dass der Berg Mâlmot tatsächlich die letzte Ruhestätte von König Artus war, wie Magdalena behauptete? Dann waren die Ruinen wahrhaftig die Mauern Avalons, und das verzauberte Schwert Excalibur lag vielleicht irgendwo am Grund dieses Sees.
Gwen spürte, wie sie eine Gänsehaut bekam. Es war eine Sache, eine solche Geschichte bei Tag zu hören; nachts jedoch sollte man lieber über weniger mysteriöse Dinge nachdenken, wie zum Beispiel über ihre Prüfung.
Sie fühlte aber, dass ihr der Spaziergang guttat. Ein Anflug von Müdigkeit überkam sie und ließ sie gähnen. Zeit, ins Bett zu gehen.
Sie wollte gerade umdrehen und sich auf den Heimweg machen, als sie am Ufer eine Gestalt bemerkte. Sie musste schon die ganze Zeit dort gestanden und auf das Wasser geblickt haben, doch war sie ihr nicht aufgefallen, weil sie so still stand.
Gwen blieb wie angewurzelt stehen. Die Frau im weißen Gewand und mit den langen blonden Haaren kam genau auf sie zu.
Die Herrin vom See,
schoss es Gwen durch den Kopf. Nimue, die Hüterin der Quelle, die Königin des Wassers.
Bildete sie sich das ein, oder lächelte die Frau? Nein, kein Zweifel, jetzt hob sie sogar ihre Hand.
»Bist du das, Gwen?«
Gwen versuchte zu antworten, brachte aber keinen Laut hervor.
»Kannst du auch nicht schlafen?«
Sagengestalten besitzen besondere Zauberkräfte, das wusste jeder. Sie konnten einen Menschen dazu bringen, Dinge zu tun, die er gar nicht wollte. So manche Frau zogen sie in die Tiefen ihres Reichs und machten sie zu einer Undine, einer grünen Jungfer, dazu verdammt, zwischen den Ruinen umherzuschwimmen.
Gwen spürte ihre Hände kaum noch. Mit angstgeweiteten Augen wich sie zurück.
»Bleib doch stehen, mein Kind. Du brauchst keine Angst zu haben. Ich möchte mit dir reden. Hast du keine Lust, die Stille der Nacht mit mir zu teilen?«
Gwen schüttelte den Kopf. Die Kreatur übte eine rätselhafte Macht auf sie aus.
»Nein.« Es war kaum mehr als ein Hauchen. »Ich muss jetzt zurück.«
Die Augen des Wesens wurden groß und traurig. »Ich dachte, du hättest vielleicht ein paar Fragen.«
Gwen schüttelte den Kopf.
Die Frau wartete einen Moment und zuckte die Schultern. »Schade. Aber wie du willst. Dann lasse ich dich jetzt allein. Leb wohl.«
Sie drehte sich um und entschwand in Richtung Brücke. Sie wurde kleiner und kleiner und tauchte zwischen den Bäumen auf der anderen Seite unter.
Der Spuk war vorbei.
»Hast du das gesehen?« Gwen atmete
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