Das verbotene Eden: Magda und Ben: Roman (German Edition)
er hier schon seit einigen Stunden. Bens Blick wanderte über den Tisch und blieb an der Flasche hängen. Ein 74er Macallan. Vaters wertvollster Whisky.
Sebastians tote Augen waren starr auf ein Foto gerichtet, das ihn, Mama und Ben an Bord ihrer Yacht vor der korsischen Küste zeigte. Ein Bild aus besseren Tagen. Daneben lag ein Blatt Papier, auf dem einige Zeilen zu lesen standen. Ben hob den Arm leicht an und zog das Blatt darunter hervor.
Liebste Veronika, lieber Ben,
wenn ihr das hier lest, werde ich bereits tot sein. Ich weiß, ihr werdet es nicht verstehen, aber ich konnte nicht anders. Alles, woran ich jemals geglaubt, wofür ich jemals gekämpft habe, hat sich ins Gegenteil verkehrt. Wir, die wir uns auf die Fahnen geschrieben haben, den Menschen Gutes zu tun, sie zu heilen und das Leben lebenswert zu machen, haben uns eines Verbrechens schuldig gemacht, für das es keine Worte gibt. Auch wenn ich selbst keine Schuld an dem Vorfall trage, so fühle ich mich doch mit verantwortlich.
Die Welt, wie wir sie kennen, wird untergehen. Nichts kann das noch verhindern. Wir haben die Büchse der Pandora geöffnet, und herausgekommen ist ein Fluch, der uns alle vom Erdball fegen wird.
Ich will nicht warten, bis es so weit ist. Ich war mein Leben lang unabhängig und will auch jetzt den Zeitpunkt meines Todes selbst bestimmen. Es mag auf euch so wirken, als wolle ich mich vor der Verantwortung drücken, aber bitte glaubt mir, so ist es nicht gemeint. Veronika, du lebst glücklich mit einem neuen Mann, und obwohl ich dich immer noch liebe, wünsche ich euch beiden alles erdenklich Gute. Ben, du brauchst mich ebenfalls nicht mehr. Du bist erwachsen geworden, hast ein eigenes Leben, eine großartige Freundin, was könntest du von jemandem wie mir noch lernen? Wozu also weiterleben? Behaltet unser kleines Glück in guter Erinnerung. Es wird lange dauern, bis es wieder so etwas wie Familien geben wird.
Euer euch liebender Sebastian
PS. Lieber Ben, solltest du mich zuerst finden, nimm die Pistole an dich, du wirst sie brauchen. Munition findest du im roten Aktenschrank in der untersten Schublade. Auch wenn es dir im Moment schwerfällt, bitte glaube mir, der Tag wird kommen, da wirst du mir dafür dankbar sein.
Mit Tränen in den Augen ließ Ben den Brief sinken. Er fühlte sich leer, ausgebrannt und gleichzeitig so wütend. Alle hatten ihn verlassen. Erst Magda und jetzt auch noch sein Vater. An wen konnte er sich noch wenden? Mutter war weg. Er konnte nicht mal mit Bestimmtheit sagen, wo sie gerade steckte. Ihr Beruf zwang sie dazu, ständig auf Achse zu sein. Die Telefone funktionierten nicht mehr, ebenso wenig wie E-Mail, Facebook, Skype oder SMS. In einer Welt, in der alles von elektronischer Kommunikation abhing, war es auf einen Schlag erschreckend still geworden. Von einem Tag auf den anderen war er allein. Niemand, der ihm Trost und Zuspruch geben konnte. Es war alles so unwirklich, so surreal. Als wäre er in einem bösen Traum gefangen. Als habe Gott sich einen bösen Scherz mit ihm erlaubt.
Voller Widerwillen betrachtete er die Pistole. Der vernickelte Stahl schimmerte wie der Panzer eines todbringenden Insekts. Sollte er sie wirklich an sich nehmen? Was sollte er damit anfangen? Er verspürte einen instinktiven Widerwillen. Dieses Ding hatte das Leben seines Vaters ausgelöscht. Sein Blut klebte daran, und doch war es sein Wunsch gewesen, Ben solle die Pistole an sich nehmen. Wusste er überhaupt, was er ihm damit aufzwang?
Ben griff nach der Pistole und hielt sie hoch. Sie war erstaunlich schwer. Er streckte die Arme aus, wie er es in Dutzenden Filmen gesehen hatte, visierte das gerahmte Foto auf der gegenüberliegenden Seite des Zimmers an und tippte leicht auf den Abzug. Ein Knall ertönte. Ein Schuss löste sich aus dem Lauf und ließ die Waffe in seiner Hand zurückschnellen. Der Laut war so ohrenbetäubend, dass Ben die Waffe vor lauter Schreck beinahe fallen ließ. Dabei kam er versehentlich ein zweites Mal an den Abzug. Wieder löste sich ein Schuss. Diesmal traf er die Vase in der Ecke, die sich in einer Wolke aus Staub und Keramikteilchen auflöste.
»Himmelherrgott noch mal!« Fluchend legte Ben die Waffe zurück auf den Tisch. Er atmete ein paarmal tief durch, dann nahm er die Pistole vorsichtig wieder in die Hand. Rechts oberhalb des Grifffeldes war ein kleiner Hebel, den drückte er nach vorne. Der Abzug war jetzt blockiert. Eine Zeitlang starrte er finster auf die Waffe, dann steckte
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