Das verbotene Land 3 - Drachenbruder
war ihr willkommen. Ihre Drachenaugen konnten zwar Lebendes in der Dunkelheit erkennen – Menschen verbreiteten in ihren Augen ein warmes Rot –, aber die Kanonen lebten nicht. Schwarz und abstoßend hässlich warteten sie im Mondlicht.
Sechs groteske Ungeheuer mit missgestalteten Armen, an denen man sie drehte, und Beinen darunter. Anora betrachtete sie voller Hass. Sie hasste die Kanonen, den Eisengestank, der an Blut erinnerte, den Geruch von Schwefel und Salpeter und natürlich den allgegenwärtigen Gestank der Menschen, der Eisen mit Tod verband.
Anora umrundete die Kanonen, ohne sie zu berühren, denn sie verabscheute auch das Gefühl dabei. Sie wusste, wie sie funktionierten. Prinz Markus hatte ihr alles sehr freundlich erläutert, und sie hatte sie aus der Ferne in Aktion beobachtet. Jetzt kannte sie das erschütternde Grollen, das den Boden erbeben ließ. Sie wusste, dass die Maschinen Feuer spien und Steinkugeln auswürgten. Anora dachte an die Zeit, als Drachen mit angesehen hatten, wie Menschen Stöcke als Waffen auflasen. Alte Drachenlegenden berichteten von der Belustigung der Drachen bei diesem Anblick. Die Drachen hatten gelacht und sich wieder ihren Träumen überlassen.
»Wir hätten es wissen müssen«, sagte sich Anora bedrückt. »Wir hätten voraussehen müssen, dass diese verschlagenen, kleinen Kerle eines Tages in der Lage sein würden, Waffen herzustellen, die uns in unserer Existenz bedrohen. Schon damals hätten wir handeln sollen. Wir hätten ihnen zeigen müssen, wer die wahren Herrscher dieser Welt sind, damit sie lernen, uns zu fürchten und zu respektieren. Aber – besser spät als nie, wie die kleinen Biester sagen.«
Die Soldaten marschierten so nahe an dem Drachen vorbei, dass Anora sie hätte am Mantel zupfen können. Niemand bemerkte sie, obwohl einer ihr direkt ins Gesicht starrte. Anora hielt still, bis sie wieder weg waren. Die Illusion verbarg sie sicher vor Menschenaugen, konnte aber keine Geräusche dämpfen. Während sie wartete, dass die Männer weitergingen, kontaktierte sie Maristara.
Diese wartete schon ungeduldig.
»Wo warst du denn?«
»Ich hatte zu tun«, gab Anora zurück.
»Du hast es noch nicht gehört.«
»Was denn? Erzähl einfach. Mach's nicht so spannend«, sagte Anora. Maristara war manchmal einfach aufreibend.
»Drakonas hat das Parlament einberufen.«
»Wirklich?« Das war tatsächlich interessant. »Um die anderen zu überreden, die Menschen zu retten?«
»Natürlich.«
»Und das Ergebnis?«
»Wie erwartet. Das Parlament konnte sich nicht entscheiden. Einige schlugen sich auf die eine Seite, der Rest auf die andere. Drakonas hat ein paar Adelshäuser für sich gewonnen, aber es sind mehr Drachen für uns.«
»Und wie ging es aus?«
»Das Drachenparlament hat sich aufgelöst«, berichtete Maristara voll grimmiger Zufriedenheit. »Nicht schade darum, wenn du mich fragst.«
Diese Nachricht nahm Anora erschüttert und seltsamerweise auch bedauernd auf. Liebevoll dachte sie an die langen Debatten und endlosen Diskussionen zurück, bei denen man den Sprecherstab dort geduldig hin und her gereicht hatte. Sie erinnerte sich an Flügelrascheln und das Zucken der Schwänze, wenn die Köpfe ihre leuchtenden Augen erst auf den einen, dann auf den anderen richteten, wenn der Regenbogen ihrer gemeinsamen Weisheit über ihnen aufleuchtete und sie zusammenschweißte. Und nun gehörte all das der Vergangenheit an. Wie ein paar Körnchen Salz, die sich in einem Glas Wasser aufgelöst hatten und nun nicht mehr zu sehen waren. Niemand konnte mehr sagen, was sie einst gewesen waren.
Die Angst entzog Anora alle Farben. Einen schrecklichen Moment lang war es in ihr kalt, hohl und finster. Die Stimmen ihrer Vorfahren schienen gegen sie aufzubegehren. Tote Augen starrten sie anklagend an. Mit einer einzigen Entscheidung hatte sie die Arbeit von Jahrhunderten zunichtegemacht. Und wohin würde das führen?
»Zu Frieden«, beharrte sie stur. »Zu Stabilität. Wenn die Menschen erst einmal unterworfen sind, werden die Drachen, die dazu verführt wurden, sich auf ihre Seite zu stellen, Vernunft annehmen. Das Parlament wird wieder eingesetzt. Alles wird wieder gut. Besser als vorher.«
Nach dieser Zusicherung an sich selbst konnte sie den Zweifel, der immer noch wie ein verbliebenes Stück Schwefel in ihrem Magen rumorte, ausblenden und sich wieder Maristara widmen. Was auch gut war.
»Was hast du eben gesagt?«, vergewisserte sich Anora entgeistert.
»Die
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