Das verbotene Land 3 - Drachenbruder
wand sie mehrfach um das Pochen ihrer Magie.
Markus murmelte etwas und sank in den Sessel zurück. Seine Augen fielen wieder zu.
»Er möchte, dass ich bleibe, Majestät«, erklärte Anora. »Ich liebe ihn. Ich möchte ihn nicht verlassen.«
»So sei es denn«, entschied Ermintrude. Sie berührte die junge Frau an der Wange. »Ich werde stolz darauf sein, Euch meine ›Tochter‹ nennen zu dürfen.«
»Danke, Majestät.« Anora machte einen Knicks.
»Jetzt setze ich mich ein Weilchen zu Markus«, fuhr die Königin fort. »Ihr könnt Euch vor dem Essen noch etwas Ruhe gönnen.«
Anora knickste noch einmal, ehe sie die Königin mit deren Sohn allein ließ. Anoras Gedanken waren bereits ganz beim Ablauf dieser Nacht, als sie auf einer engen Wendeltreppe bemerkte, dass jemand ihr von unten entgegenkam.
Die beiden Frauen trafen in der Mitte der Treppe aufeinander und sahen sich im flackernden Schein der Fackeln an. Anora erkannte die Menschenfrau – ein blondes Mädchen mit dem Namen Evelina, das versucht hatte, sich zum Prinzen zu stehlen. Die Königin hatte sehr empört reagiert, erinnerte sich Anora. Das Mädchen stand im Rang unter lsabel und hätte zur Seite treten müssen, um die Adlige durchzulassen. Das tat es auch, allerdings erst nach einer kurzen Pause. Anora raffte ihre Röcke und drückte sich an der anderen vorbei. Evelina knickste nicht, wie man es hätte erwarten können. Sie blieb aufrecht stehen und starrte lsabel kühn ins Gesicht. Bei einem kurzen Blick im Vorübergehen sah Anora, wie sich der Mund des Mädchens verzog. Ihr hasserfüllter Blick hätte jedem Menschen das Blut in den Adern gefrieren lassen. Da aber Anora für Menschen nichts übrig hatte, dachte sie sich nichts dabei, außer sich darüber zu ärgern, wie unpraktisch diese Reifen und die viele Seide mitsamt diesem schwachen Menschenkörper waren.
Lady lsabel war fünfzehn gewesen, als der Drache ihrem Tross in der Wildnis aufgelauert hatte. Anora hatte ihre Eskorte getötet und das schreiende, entsetzte Mädchen in eine Höhle gezerrt, wo sie ihr das Herz herausgerissen und ihren Körper übernommen hatte. Dann hatte sie das Mädchen, das immer noch auf schreckliche Weise am Leben war, in der Höhle zurückgelassen und einen schweren Stein davorgewälzt, damit niemand es fand. lsabels Herz hatte sie in das goldene Medaillon gesteckt, dann hatte sie sich das Medaillon um den Hals gehängt und die Reise fortgesetzt. Die eskortierenden Ritter waren eine Illusion gewesen.
Ursprünglich hatte der Drache nur die Absicht gehabt, ins Schloss einzudringen und Zugang zur Königsfamilie zu erhalten. Zu Anoras maßlosem Erstaunen und Glück stellte sie jedoch bald fest, dass die junge Frau, deren Körper sie nur geraubt hatte, weil es ihren Zielen diente, Prinz Markus versprochen war. Damit eröffneten sich ihr ganz neue Möglichkeiten. Als Mensch hätte Anora sicher gesagt, dies sei ein Zeichen, dass Gott ihr wohlgesonnen sei. So jedoch ergriff sie die günstige Gelegenheit und nutzte sie nach Kräften.
Am heutigen Abend herrschte beim Essen eine trübselige Atmosphäre. Die Speisen waren nicht besonders gut und auch nicht reichlich, denn die Köchin rationierte ihre Vorräte. Es gab keine Musik, weil die Spielleute fortgeschickt worden waren. Auch der König fehlte. Er war losgegangen, um die Befestigungsanlagen der Stadt zu überprüfen und die Evakuierung der Bevölkerung zu überwachen. Die wenigen, die noch bei Tisch saßen, hielten sich nicht lange mit ihrem Hammeleintopf auf, so dass das Mahl bald vorüber war. Danach spielte Anora noch eine Partie Dame mit dem Prinzen, bis sie endlich Müdigkeit vortäuschen und sich für die Nacht zurückziehen konnte. Markus' Seele nahm sie in ihrem Stickkörbchen mit.
Als die Glocken zwei Uhr schlugen, legte Anora einen Illusionsmantel um sich und schlüpfte aus dem Zimmer. Sie schlich die Treppe hinunter, durch die stillen, menschenleeren Gänge und in den Hof hinaus. Von dort aus ging sie im Schutz der Nacht auf die Schlossmauer, wo die Kanonen standen.
Die Soldaten waren auf ihren Posten. Sie bemannten die Türme, hielten Wache und machten die Runde. Alle waren äußerst aufmerksam, denn inzwischen wusste jeder, was in Neubramfels geschehen war. Anora hörte, wie sie mit leisen, angespannten Stimmen miteinander redeten, als sie unbemerkt vorbeihuschte.
Der Mond nahm bereits wieder ab, verbreitete jedoch noch ausreichend Licht, so dass Anora fast wie bei Tageslicht sehen konnte. Das Licht
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