Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall
von einem Zauberer auf der Bühne hinters Licht geführt wird.
»Vorausgesetzt«, fügte sie schnell hinzu, »dass Sie Kopenhagen nicht verlassen. Und unter keinen Umständen dürfen Sie noch einmal in die Ermittlungen eingreifen. Im Ernst, Theis. Wenn Sie sich nicht daran halten …«
»Doch, ganz bestimmt. Ich will nur nach Hause.«
»Gut. In Ihrem und im Interesse Ihrer Familie ist es wichtig, dass Sie sich zurückhalten. Sprechen Sie nicht mit den Medien. Mischen Sie sich nicht ein. Werden Sie wieder der Alte.«
Er sah sie an.
»Soweit das möglich ist. Entschuldigen Sie. Das war gedankenlos von mir. Sie können jetzt Ihre Sachen holen. Theis …«
Sie zögerte, überlegte.
»Ja?«
»Im Moment haben alle Mitleid mit Ihnen. Und mit Pernille. Aber Mitleid ist wie ein tropfender Wasserhahn. Eine kleine Drehung …«
Die Anwältin machte die entsprechende Handbewegung.
»Und es ist Schluss damit. Und was dann kommt, ist nicht so schön. Machen Sie sich unsichtbar. Haben Sie Geduld. Wir sehen uns dann vor Gericht wieder. Wenn man bis dahin nichts von Ihnen hört, kann ich vielleicht erreichen, dass Sie nicht ins Gefängnis müssen.«
Er nickte.
Sie lächelte, dann blieb er in seinem blauen Häftlingsanzug und den schwarzen Stiefeln allein zurück. Unrasiert, ungewaschen. In Gedanken bei der seltsamen Welt auf der anderen Seite der Tür.
Pernille ging ans Telefon, ein Freudenschrei. Rief Lotte an und bat sie, auf die Jungs aufzupassen, schlüpfte schon in ihren Mantel. Ihre Schwester kam sofort, mit einer Tasche voller Einkäufe, gerüstet für den Abend. Süßigkeiten und ein Buch griffbereit. Familien lebten von diesen täglichen Ritualen, die für selbstverständlich gehalten wurden, aber so schmerzlich waren, wenn es keinen Grund mehr dafür gab. Lotte ließ Badewasser ein. Setzte die Jungs in die Wanne. Pernille holte ihre Schüssel.
Ein paar Bonbons nur , dachte sie und schaute in Lottes Tasche. Alles Mögliche. Chips und Knabberzeug. Shampoo. Dinge, die alleinstehende Frauen in geradezu lächerlich geringen Mengen kauften. Ein Bündel Briefe. Lotte musste sie mitgenommen haben, um sie zu lesen, wenn die Kinder im Bett waren. Der oberste war quadratisch und sah offiziell aus, eine Karte in einem Umschlag. An Nanna, aber unter Lottes Adresse. Gekreische aus dem Badezimmer, Lottes Schimpfen.
»Ich will die Ente haben!«, rief Emil.
»Nur wenn du aufhörst herumzuspritzen«, sagte Lotte.
Ohne zu überlegen, griff Pernille in die Tasche, nahm den quadratischen Umschlag heraus, riss ihn auf. Die Karte war silbern, mit einem Christbaum verziert. Eine Einladung zur Weihnachtsfeier eines Nachtclubs in der Innenstadt. In vier Wochen. Pernille starrte darauf, fror, kam sich dumm und verraten vor.
»Wo ist denn die Ente?«, fragte Lotte von der Badezimmertür her. »Ach, da.«
Hatte sie gefunden. Schaute zu Pernille herüber. Sah die Karte.
»Sie hat die ganze Zeit bei dir gearbeitet«, sagte Pernille, die Karte in der Hand. »Sie hat deine Adresse angegeben. Deswegen wussten wir nichts davon.«
Lotte kam heran, schaute auf die Karte, wich zurück, schuldbewusst.
»Wann hat das angefangen?«
Kleine Schwester, kleine Schwester, dachte Pernille. Ich hab dir nie so ganz getraut.
»Im Januar«, antwortete Lotte mit dem ausweichenden, unsteten Blick des ungezogenen Kindes, das sie einmal gewesen war.
»Sie hat nur als Aushilfe gearbeitet. Im Sommer hat sie aufgehört.«
Pernille wartete, die Karte noch in der Hand.
Lotte leckte sich über die Lippen, versuchte sich zu sammeln. Glaubwürdig zu wirken.
»Sie hatte das nicht geplant. Sie hat mich mal bei der Arbeit besucht und fand es da so …« Lotte zuckte die Schultern. »Spannend.«
Pernille sah sich in der kleinen Wohnung um. Die engen Räume, die Fotos an der Wand. Der Tisch, den sie mit Nanna gebaut hatte. Die Bücher. Der Fernseher. Die Kinder. Die Nähe und Intimität, die sich Familie nannte.
»Spannend?«
»Es hat sich einfach so ergeben. Ich fand nichts dabei.«
Pernille wusste nicht, ob sie weinen oder schreien sollte. Auf Lotte losgehen oder flüchten.
»Was war im Sommer?«, fragte sie.
Lotte verschränkte die Arme. Selbstbewusst jetzt. Sah einen Fluchtweg.
»Vielleicht solltest du mit Theis darüber reden.«
»Charlotte. Du bist meine Schwester. Sag mir, was passiert ist.«
Geräusche aus dem Bad. Die Jungs, kichernd, planschend.
»Der Job hat ihr gefallen. Und dann fing sie an, sich mit jemandem zu treffen. Einem
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