Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall
Verlebte Frauen, die hübsch aussehen wollten und ihre Beine den Autos präsentierten, die über die Dybbølsbro-Brücke auf sie zuströmten. Die Wohnungen gehörten zu den billigsten in der Gegend. Viele kleine Einheiten, erreichbar über einen langen Außengang, der mit einem Eisengitter gesichert war. Skærbæk wohnte im ersten Stock. Svendsen stand bereits vor der Tür. Die Wohnung war leer. Es war den ganzen Tag niemand da gewesen. Er hatte die Birk Larsens verlassen. Und er war auch nicht in dem Pflegeheim. Svendsen steuerte auf die Treppe zu. Lund und Meyer gingen in dem Gang auf und ab.
»Ich rekapituliere mal«, sagte sie. »Vagn hat um zehn seinem Onkel die Tablette gegeben. Eine Stunde später war Nanna in der Wohnung in der Store Kongensgade.«
»Könnte hinkommen.«
»Aber woher wusste Vagn, dass sie dort war?«
Vor ihnen ging jemand an den hellgrauen Türen entlang.
Groß, schlank. Baseballmütze. Als er sie sah, zog er sich das Schild in die Stirn.
»Vielleicht hat er sie beobachtet«, sagte Meyer. »Er wusste ja, wo er hinmusste.«
»Wie denn? Sie ist ja nur in die Wohnung, um ihren Pass zu holen.«
Der Mann mit der Baseballmütze war zum Aufzug zurückgegangen. Drückte auf den Knopf. Lund und Meyer blieben hinter ihm stehen. Er wandte sich von ihnen ab, holte ein Handy hervor, schien jemanden anrufen zu wollen.
»Wir haben ihn zwei Mal vernommen!«, sagte Meyer. »Wir hätten ihn dabehalten sollen.«
Der Mann hatte anscheinend niemanden erreicht.
»Komm, wir nehmen die Treppe, Lund. Wir können nicht ewig warten.«
Sie folgte ihm. Dann blieb sie stehen, schaute zurück. Der Mann mit der Baseballmütze telefonierte nicht. Aber er konnte nicht widerstehen und drehte sich zu ihnen um. Da erkannte sie ihn.
»He«, schrie Lund. »He!«
Er rannte los, durch den schmalen Gang auf ein Treppenhaus zu.
»Meyer!«
Lund wollte ihn verfolgen, stand plötzlich im Dunkeln, verlor die Orientierung. Schnelle Schritte auf Metall. Ein Eisengeländer und eiserne Treppenstufen weiter unten. Sie war halb unten, als sie den Wagen sah. Weißer Mercedes. Taxischild auf dem Dach.
Leon Frevert. Der Letzte, der Nanna lebend gesehen hatte. Meyer rannte ebenfalls darauf zu, versuchte, auf die Motorhaube zu springen.
Und er hat keine Waffe, dachte Lund. Dank Brix.
»Meyer!«
Doch es spielte ohnehin keine Rolle. Der Mercedes schoss mit quietschenden, qualmenden Reifen aus der Parkbucht. Lund war als Erste bei ihrem Wagen. Beifahrersitz. Blaulicht aus dem Handschuhfach, blinkend aufs Dach.
»Diesmal fährst du, Meyer.«
»Wer zum Teufel war das?«, fragte er und ließ sich in den Sitz fallen. Sie antwortete nicht. Rief die Zentrale an.
»Fahndung nach Leon Frevert. Weißer Mercedes. Taxischild. Kennzeichen HZ 98 050. Vorsicht bei Annäherung. Frevert ist Verdächtiger im Fall Birk Larsen.«
Meyer fuhr so rasant los, dass ihr die Luft wegblieb. Vielleicht war er direkt nach Vesterbro hineingefahren. Oder über die Dybbølsbro-Brücke zurück in die Innenstadt, oder nach Amager hinaus, zu der Brücke nach Malmö. Er trat auf die Bremse, sodass die Schar miniberockter Nutten auseinanderstob.
»Wohin?«, fragte Meyer. »Wohin, Lund?«
In den Wald, dachte sie. Zu den kahlen Bäumen des Pfingstwaldes. Am Ende geht’s immer dorthin.
»Lund? Wohin?«
Die nass glänzenden Straßen führten in alle Richtungen.
»Ich weiß es nicht.«
Leon Frevert hatte einen Bruder. Svendsen brachte den Mann in Freverts trostlose Einzimmerwohnung nicht weit von der Vesterbrogade. Er hieß Martin. Buchprüfer mit eigener Firma in Østerbro. Dunkler Anzug, Krawatte. Jünger als sein Bruder, nicht so mager und nicht so grau. Mehr Geld, dachte Lund. Mehr Grips. Meyer sah sich in der Wohnung um.
»Von Möbeln hält Ihr Bruder wohl nichts?«
Martin Frevert setzte sich auf den einzigen Stuhl. Außerdem gab es ein Sofa und ein Einzelbett. Sonst nichts.
»Das letzte Mal war noch alles da. Das war vor drei Wochen«, fügte er hinzu, bevor ihn jemand fragen konnte.
»Was fehlt?«, fragte Lund.
Frevert sah sich um.
»Der Tisch. Seine ganzen CDs. Seine Sachen.«
»Sie wussten also nicht, dass er gekündigt hat?«
»Er hat mir nichts gesagt. Angeblich hat ihm die Wohnung gefallen. Er hatte sie sich ausgesucht.«
Sie hatten ein Flugticket nach Ho-Chi-Minh-Stadt via Frankfurt gefunden. Abflug am folgenden Montag. Zwei Tage zuvor gekauft.
»Er hat Ihnen nicht gesagt, dass er nach Vietnam fliegen wollte?«
»Nein. Er war dort vor
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