Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall
du das ernst?«
»Allerdings.«
»Du musst wirklich ab und zu versuchen, die Dinge mit den Augen anderer zu sehen. Du warst in der Wohnung gewesen. Du warst sturzbetrunken. Als ich dich in dem Sommerhaus gefunden habe, warst du völlig fertig und hast kaum ein Wort rausgebracht.«
Er schüttelte den Kopf, ohne den Blick von Hartmann abzuwenden.
»Du hattest versucht, dich umzubringen. Ich hab mich an das Mädchen erinnert. Und ich hab mich an das Foto erinnert, in dem Moment, als die Polizei den Namen genannt hat. Ich hatte ihren Namen, Troels. Ich arbeite. Ich führe ein Archiv.«
»Du … hast es gewusst?«
»Ja, was sollte ich denn denken?«
»Ich kenne sie nicht«, beharrte Hartmann, legte das Foto auf den Schreibtisch und sah es nicht mehr an. »Ich kann mich an die Situation …«
Weber lehnte sich zurück, schloss die Augen und seufzte.
»Du hast mir zugetraut, dass ich …«
»Ich habe zwanzig Jahre gearbeitet, um dich zu dem zu machen, der du heute bist«, rief Weber. »Und auf eine Chance gewartet, endlich mal wirklich etwas zu erreichen. Das konnte und wollte ich nicht aufs Spiel setzen.«
Die Stimme leiser. Hartmann begann flach zu atmen. Das Zimmer verschwamm vor seinen Augen.
»Du meine Güte, Troels! Ich bin an dem Sonntag in die Wohnung gegangen. Der Tisch war kaputt. Ich hab gesehen, dass da was passiert war. Am nächsten Tag höre ich, dass es sie ist …«
Er setzte eine strenge Miene auf.
»Natürlich hab ich dafür gesorgt, dass sie nicht draufgekommen sind. So gut ich konnte. Das Überwachungsband hab auch ich genommen. Ich dachte mir, wir könnten es nach der Wahl vielleicht der Polizei übergeben. Und sie dann in die Wohnung lassen. Wenn es nicht mehr gefährlich war. Falls es dann nicht mehr gefährlich war …«
»Falls?«
»Jetzt mach keine Geschichten. Im Prinzip hab ich nichts gemacht, was die Ermittlungen behindert hätte. Ich habe nur dazu beigetragen …«
»Im Prinzip?«
Weber holte die Kognak-Karaffe, schenkte sich ein, stellte sich hinter den sitzenden Hartmann. Wie ein Boss.
»Tut mir leid wegen Rie«, sagte er obenhin. »Aber seien wir ehrlich. Sie war einfach nicht die Richtige für dich.«
»Sagt wer?«
Weber sah ihn finster an.
»Soll das heißen, dass ich nach all der schweißtreibenden Arbeit nicht auch mal was zu sagen habe? Du hättest dich mit dieser Polizistin, dieser Lund, zusammentun sollen. Die ist eher dein Typ. Kann ich mir gut vorstellen, ihr beide …«
Er trank einen Schluck.
»… im Bett. Du denkst an deine nächste Rede. Lund geht mit ihren großen Augen herum und fragt sich, was es in dem Zimmer zu sehen gibt, was nebenan ist.«
»Du widerst mich an.«
»Ist ja gut, Troels. Du kannst angewidert sein, so viel du willst. Hätte ich vielleicht zwanzig Jahre meines Lebens wegwerfen sollen, bloß weil jemand ein Mädchen aus Vesterbro umgebracht hatte?«
Hartmann verlor die Beherrschung, stand auf und schlug ihm den Kognakschwenker aus der Hand.
»Bist du wahnsinnig, Morten?«
Weber zog sich nicht zurück, wie er es sonst immer tat. Er blieb, wo er war. Trotzig. Grinsend.
»Nein. Nur pragmatisch.«
»Die Polizei wird dahinterkommen. Die sind in diesem Moment in der Kongensgade.«
»Nein, sind sie nicht. Ich hab gar nicht angerufen.«
Er nahm sich ein neues Glas. Schenkte sich ein. Setzte sich auf Hartmanns Stuhl. Schaute zu ihm auf.
»Setz dich, Troels. Setz dich. Wir müssen ein paar Dinge bereden.«
Hartmann blieb am Fenster.
»Du meine Güte«, stöhnte Weber, holte noch ein Glas und schenkte Hartmann einen Kognak ein. »Wenn es dir so wichtig ist …«
Er setzte sich auf den Stuhl auf der anderen Seite des Schreibtischs. Wartete darauf, dass Hartmann sich in seinen fallen ließ.
»Du hast nichts zu befürchten. Rein gar nichts. Die Rede für morgen …«
Er nahm ein paar Blätter vom Schreibtisch.
»Ich muss da noch einiges dran ändern. Wir müssen ein paar Hinweise auf Bremer einbauen. Unsere Bewunderung ausdrücken. Ich kümmer mich drum.«
»Es gibt morgen keine Rede. Wenn die dahinterkommen, was du gemacht hast …«
Weber lachte.
»Ja, natürlich.«
»Wenn nicht, dann erfahren sie’s von mir.«
»Willst du das? Na dann.«
Er schob ihm das Telefon zu.
»Nur zu. Ruf sie an.« Er tippte wieder mit dem Finger auf das Foto. »Wir können ihnen das da zeigen. Du kannst ihnen sagen, was passiert ist, als du sie kennengelernt hast. Letzten Juli. Rie war da gerade in Urlaub, mit ihrem Vater in Spanien, wenn du dich
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