Das Verbrechen: Kommissarin Lunds 1. Fall
Männlichkeit. Sie richtete den Blick aufs Armaturenbrett, dann weiter nach unten. Svendsen war Rechtshänder. Der andere Linkshänder. Ihre Waffen waren in der Mitte. Die Griffe sichtbar.
»Ich hab freundlich gebeten«, sagte sie leise.
»Ich bin mir sicher, die einzige freie Zelle ist die beschissenste«, sagte Svendsen. »Es tut mir ja so leid …«
Sie griff nach vorn, mit beiden Händen. Packte beide Griffe, ließ die eine Waffe in den Fußraum fallen, entsicherte die andere. Drückte den Lauf in Svendsens Genick.
»Was soll der Scheiß?«
Er hatte Angst.
»Rechts ranfahren«, sagte sie. »Sofort.«
»Lund …«
Sie nahm die Pistole von seinem Nacken weg, drehte sie nach links und drückte zum ersten Mal außerhalb des Schießstandes ab. Das Seitenfenster zerbarst in kleine Glaskrümel. Der Wagen kam auf der dunklen, nassen Straße ins Schleudern. Svendsen stand inzwischen auf der Bremse, und der andere schrie. Vor einem Geschenkladen kamen sie zum Stehen. Roter Backstein. Im Fenster Weihnachtsbäume und Christbaumschmuck.
»Raus aus dem Wagen«, sagte Lund. »Alle beide. Und stellt euch an das Schaufenster da. Macht mich nicht wütend.«
Sie sah ihnen zu. Kletterte über den Sitz, die Pistole in der Hand, die Augen die ganze Zeit auf Svendsen. Dann wendete das zivile Polizeiauto auf der breiten Straße und fuhr zurück Richtung Vesterbro.
Bülow konnte sich nicht entschließen, Humleby zu verlassen. Er stand dabei und sah zu, wie Brix’ Leute beratschlagten, wie das Durcheinander in dem Keller möglichst effizient zu durchsuchen wäre. Zwei leitende Forensiker in weißen Schutzanzügen und Operationsmützen versprühten Luminol, um etwaige Blutflecken sichtbar zu machen. Brix stand mit Jansen an der Treppe, und Bülow lästerte die ganze Zeit vor sich hin.
»Das ist nicht so einfach«, stöhnte einer der Männer in Weiß. »Die ganzen Sägespäne und der andere Dreck …«
»Sie verschwenden Polizei-Ressourcen«, mischte sich Bülow ein. »Das ist an sich schon ein Straftatbestand, Brix.«
Dank dem Luminol würden alle Blutspuren unter den UV-Lampen, die sie mitgebracht hatten, gelb aufleuchten.
»Na, schon was gefunden?«, fragte Bülow süffisant.
»Tja, nein«, antwortete der Techniker vorsichtig. »Aber das ist öfter so, bevor man dann richtig hinschaut.«
»Sind alle Ihre Leute solche Klugscheißer, Brix? Sagen Sie’s mir. Ehrlich. Das interessiert mich wirklich.«
»Wir müssen die Lampen ausmachen«, sagte Jansen. »Um zu sehen, ob da irgendwelche Spuren sind.«
Er warf Bülow einen bösen Blick zu.
»Passen Sie auf, dass Sie nicht stolpern.«
Dann wurde es dunkel. Die beiden Männer in den weißen Anzügen hoben zwei lange Leuchtröhren auf. Blaues Licht. Sie fuhren damit an den freigelegten, eingesprühten Wänden entlang.
»Ich sehe rein gar nichts!«, spottete Bülow.
Sein Telefon klingelte.
Sie senkten ihre Leuchtröhren bis zu den Fußleisten ab, ließen keine Handbreit aus.
»Alles klar«, sagte Bülow. »Ich bin unterwegs. Sucht den Wagen. Sagt allen, dass sie bewaffnet ist. Vorsicht bei Annäherung.«
Er beendete das Gespräch und baute sich vor Brix und Jansen auf.
»Ihre Kollegin hat soeben zwei Beamte mit deren eigenen Handfeuerwaffen bedroht und einen Streifenwagen entführt.«
»Sie hat was?«, fragte Brix.
»Sie hören doch. Ich lasse Sie suspendieren, Brix. Sie haben uns schon viel zu lange im Weg gestanden. Wenn ich mit Ihnen fertig bin …«
Ein langgezogener Pfiff von einem der Männer in Weiß.
»Und jetzt«, sagte eine Stimme in dem blauen Licht, »zurücktreten und staunen.«
Sie schauten auf den Boden. Bülow und Brix. Jansen und die Männer in Weiß. Zwischen den mittleren Bodendielen begannen sich in dem blauen Lichtkreis gelbe Flecken abzuzeichnen. Pfützen und Tropfen. Lange Rinnsale.
»Richten Sie den Blick nach oben, meine Herren«, sagte einer der Forensiker. »Da ist noch etwas anderes.«
Ein gelber Handabdruck an der Wand. Finger, die sich in den Putz krallten, wie die Schatten eines verschwundenen Geistes. Überall tauchten sie nun auf, Streifen, Schmierer, Kleckse, Lachen. Wie ein Raum in einem perversen Nachtclub. In dem seltsamen Licht blickte Jansen sich um.
»Sie hat hier drin um ihr Leben gekämpft, Brix. Das war ein …«
Bülow stand mit offenem Mund da. Er war sprachlos. Brix nahm sein Telefon zur Hand.
»Die Zentrale bitte«, sagte er.
Am Empfang des privaten Krankenhaustrakts saß eine Schwester.
»Sind Sie Angehöriger
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