Das verdrehte Leben der Amélie
spielen?«
Schluck. Ich hatte das Gefühl, ich wäre im Film Matrix und die Zeit wäre gerade stehen geblieben. Kat beobachtete mich von der Seite. Kats Eltern blickten mich erwartungsvoll an, mit ihren Weingläsern in den Händen. Julianne ist zehn. Sie ist ganz in Ordnung, aber sie ist erst in der vierten Klasse und das ist einfach eine andere Welt. Wenn sie wenigstens in der sechsten Klasse wäre, könnten wir vielleicht etwas mehr miteinander anfangen. Abersie ist noch ein Kind! Und wir können nicht wirklich über unsere Geheimnisse sprechen, wenn sie dabei ist, da man ihr nicht vertrauen kann. Das letzte Mal, dass Kat ihr ein Geheimnis verraten hat, war in der sechsten Klasse. Wir waren auf einer Party bei unserem Mitschüler Louis gewesen und hatten »Wahrheit oder Pflicht« gespielt. Julianne hat alles gepetzt! Die Folge: Kat durfte für den Rest des Jahres auf keine Party mehr gehen. Das fand ich etwas übertrieben von ihren Eltern, konnte dadurch aber auch den aufbrausenden Charakter meiner Freundin besser verstehen.
Aller Augen waren jetzt auf mich gerichtet. Kat ist meine allerbeste Freundin! Wenn ich vor ihren Eltern einen Fehler machte, könnten sie in ihrer extremen Art dafür sorgen, dass ich mich nicht mehr mit Kat treffen darf, weil sie vielleicht denken, dass ich kein guter Umgang bin. Da mir die letzten Wochen gezeigt haben, wie mein Leben ohne Kat aussehen würde, antwortete ich, wie es jeder an meiner Stelle getan hätte:
»Das macht mir überhaupt nichts aus. Julianne ist total süüüüüüß!« (Ich gebe zu, dass ich es mit dem »süß« etwas übertrieben habe.)
19:34
Seit einer halben Stunde fetzt sich Kat mit ihrer Schwester und ich komme mir total überflüssig vor. Währenddessen spiele ich mit Caprice, ihrem karamellfarbenen Hamster, der in ihrer Familie die Rolle des Alibi-Haustiers hat.
Kat: »Kannst du dir keine eigenen Freunde suchen? Musst du immer wie ein Parasit an meinen kleben?«
Ich: »Ist doch nicht so schlimm, Kat, wir können doch ...«
Julianne: »Deine Freunde sind doch nur deine Freunde, weil sie sich selbst keine anderen Freunde suchen können!« (Äh ... spricht sie da von mir??)
Ich: »O.k., Mädels, ich geh dann mal ...«
Kat: »Siehst du, was du angerichtet hast?«
Kats Vater (aus dem Wohnzimmer): »Ihr streitet doch nicht?«
Kat: »Nein, haben uns lieb!«
Julianne: »Wir spielen!«
20:30
Als ich ging, waren Kat und Julianne gerade dabei, sich an den Haaren zu ziehen, und Kats Vater (der für diesen vermasselten Abend verantwortlich war) sagte zu mir, wir hätten ja einen Mordsspaß miteinander (er sagte wirklich »Mordsspaß«). Ich lächelte, aber am liebsten hätte ich gebrüllt: »Du hast mir den Freitagabend mit meiner besten Freundin versaut und ich musste den ganzen Abend mit einem Hamster spielen!!!!!!!!!!!!!!!!!!«
20:45
Nicht, dass ich Hamster nicht mag. Aber die Zahl der Dinge, die man mit ihnen machen kann, ist ziemlich begrenzt.
21:00
Ich habe eine Liste erstellt, mit den Vor- und Nachteilen, die es mit sich bringt, einen Vater auf der Erde oder einen Vater auf einem anderen Planeten zu haben (oder an einem anderen plausiblen Aufenthaltsort).
Vorteile, einen Vater auf einem anderen Planeten zu haben:
Er kann einen nicht zwingen, mit der kleinen Schwester zu spielen (wenn man eine hat).
Er kann einem nicht den Abend mit der besten Freundin versauen.
Er kriegt nichts von peinlichen Sachen mit.
Er kann nicht mit einem schimpfen.
Deine Mutter kann niemals sagen: »Wenn du das und das machst, muss ich mit deinem Vater darüber sprechen.«
Vorteile, einen Vater zu haben, der auf demselben Planeten wohnt wie man selbst:
Einen Vater zu haben.
...
...
21:12
Ich gehe zum Zimmer meiner Mutter, öffne die Tür einen Spalt und sehe sie in ihrem Bett liegen und einen mega retro Film im Fernsehen gucken, Grease 2 . Sie hat die Haare zusammengebunden und ihre Brille auf. Umsie herum liegen eine Menge Zeitschriften und sie feilt sich die Nägel. (Echt mal, total eklig, sich im Bett die Nägel zu feilen!) Als sie mich sieht, sagt sie:
»Was ist los, meine Süße?«
Ich: »Nichts.«
Meine Mutter: »Willst du wieder bei mir schlafen?«
Ich: »Nein.«
Sie breitet die Arme aus, winkt mich zu sich und ich setze mich zu ihr aufs Bett. Sie verrät mir, dass Grease 2 früher ihr Lieblingsfilm war. Erst finde ich ihn ziemlich kitschig, aber dann ist er doch gar nicht so schlecht.
Samstag, 8. Oktober
W as für eine Horror-Nacht! Wegen meiner neuen
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