Das Verhaengnis Thriller
und ihn der Mittäterschaft bezichtigt. Und so war er, ohne sich umzusehen, vom Tatort geflohen. »Ich hätte sie vergewaltigen sollen«, hatte Tom beinahe wehmütig gesagt. »Ich wette, das hätte ihr gefallen.« Er hatte angeboten, die zweiundvierzig Dollar zu teilen, die er in dem Portmonnaie der Frau gefunden hatte, aber Jeff hatte abgelehnt und zugesehen, wie Tom die Handtasche in den nächsten Mülleimer geworfen hatte. In den folgenden Tagen hatte er in der Zeitung eine Meldung über den Raub gesucht und sogar die Todesanzeigen gelesen, um zu sehen, ob eine Frau an den Folgen eines Überfalls gestorben war, aber es war nichts nachgekommen.
Es war ein Wunder, dass er und Tom damals wie bei einer Reihe von anderen Gelegenheiten nicht im Gefängnis gelandet waren, dachte Jeff und machte sich auf den Weg zurück zum Motel. Aber anstatt links abzubiegen, wandte er sich plötzlich nach rechts, überquerte die Straße und ging entschlossen weiter bis zur nächsten Kreuzung, wo er links abbog und wie angezogen von einem Magneten nach zwei weiteren Blocks noch einmal links ging. Er brauchte die Straßenschilder nicht zu lesen. Diesen Weg hätte er auch mit verbundenen Augen gefunden.
Eine Viertelstunde später stand er müde und schwitzend vor einem zweistöckigen Haus in der Huron Street mit weißen Läden und einer blutroten Haustür. Das Haus seines Vaters. In dem weißen Haus mit der schwarzen Tür zwei Nummern weiter hatte Kathy gewohnt, die beste Freundin seiner Stiefmutter, die ihn verführt hatte, als er kaum vierzehn gewesen war. »Du bist ein sehr unartiger Junge«, konnte er sie in sein Ohr gurren hören. »Deine Stiefmutter hat völlig recht mit dir.« Und dann lagen sie nackt in ihrem Doppelbett, und sie hatte ihm gesagt, wohin er seine Hände legen und wie er seine Zunge benutzen sollte, und er hatte den sonderbaren Geräuschen gelauscht, die sie gemacht hatte, ihrer heiseren Stimme, die flüsterte, »sag mir, dass du mich liebst«, während sie mit ihren langen Fingernägeln seinen Rücken gekratzt hatte. Und er hatte ihr den Gefallen getan, hatte ihr immer wieder gesagt, dass er sie liebte, und es vielleicht sogar so gemeint, dachte er jetzt, wer weiß? Und dann war er zwei Jahre nach Beginn ihrer Affäre eines Tages nach Hause gekommen und hatte ein großes ZU - VERKAUFEN -Schild in ihrem Vorgarten vorgefunden, das ein paar Monate später durch ein anderes ersetzt worden war, auf dem stand VERKAUFT . Und einen weiteren Monat später war ein LKW gekommen, und sie war weg, war zusammen mit ihrem Mann und ihren beiden kleinen Töchtern nach Ann Arbor entschwunden, wo ihr Mann einen neuen Job angenommen hatte.
Jeff hatte sie nie wiedergesehen.
Und er hatte nie wieder zu einer Frau gesagt: »Ich liebe dich.«
Bis heute Abend.
Was war mit ihm los, fragte er sich und spürte Kathys verruchtes Lachen in seinem ganzen Körper widerhallen, als sein Blick vom Schlafzimmerfenster im ersten Stock ihres ehemaligen Hauses über den schmalen, von Blumen gesäumten Betonweg zum Haus seines Vaters huschte. Was machte er hier? Hatte er wirklich vor, diesen Pfad hinaufzugehen, die Stufen zu der kleinen Veranda zu erklimmen und an die rote Tür zu klopfen? Hatte er komplett den Verstand verloren? Was war mit ihm los?
Na, da schau an, der verlorene Sohn , konnte Jeff seinen Vater sagen hören, während er sich zwang, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Zum Teufel, dachte er. Es hatte ihn eine Stange Geld gekostet, nach Buffalo zu kommen. Geld, das er sich als frisch Arbeitsloser eigentlich nicht leisten konnte. Er war auf Bitten seiner Schwester gekommen, um seine Mutter zu sehen, die ihn als kleinen Jungen verlassen hatte. Warum sollte er nicht auch gleich seinem Vater einen Besuch abstatten, der ihn etwa zur selben Zeit emotional im Stich gelassen hatte?
Zwei für den Preis von einem, zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen, dachte Jeff und blickte zum Wohnzimmerfenster. Er stellte sich seinen Vater und seine Stiefmutter vor, er in ein Buch vertieft, sie mit Näharbeiten beschäftigt. Wie würden sie reagieren, wenn sie ihn sahen, fragte er sich, hob die Hand und klopfte an die Tür.
Das Geräusch hallte in der ruhigen, von Bäumen gesäumten Straße wider und weckte Erinnerungen an Jahre der Gleichgültigkeit und Vernachlässigung, Jahre, die jetzt wie welkes Laub in Jeffs Kopf durcheinanderwirbelten.
Niemand reagierte auf sein Klopfen, obwohl Jeff meinte, im Haus eine Bewegung gehört zu haben. Geh einfach
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