Das verlassene Boot am Strand
wiederholten ein paar.
»Sklaven«, sagten nun alle, auch diejenigen, die vorher gezögert hatten.
Es stimmte nicht, daß wir Sklaven waren. Die Patres wollten, daß wir an ihren Gott glaubten, und sie waren streng und oft ungeduldig mit uns, und wir mußten schwer arbeiten. Trotzdem liebten sie uns, als ob wir ihre Kinder wären. Aber niemand widersprach »Steinerner Hand«, weil alle ihn liebten und gleichzeitig fürchteten, und weil sich manche auch wirklich als Sklaven fühlten.
»Steinerne Hand« fragte weiter: »Was bleibt uns noch übrig, da wir doch Sklaven sind? Was kann ein Sklave noch tun?«
»Fliehen«, antwortete ein Junge, und dann nickten alle und wiederholten: »Fliehen! Fliehen!«
Er machte eine weitere Pause und betonte dann jedes Wort: »Wenn irgend jemand von euch ein Wort verrät, verspreche ich ihm dies.« Er fuhr sich schnell mit dem Finger über die Kehle.
Wir gingen bergab auf die Mission zu, und »Steinerne Hand« sprach weiter:
»Unsere Brüder haben vor langer Zeit San Diego niedergebrannt. Und sie haben auch San Juan Capistrano angezündet. Santa Barbara ist vom Erdbeben zerstört worden. Es ist auch einmal abgebrannt. Die Indianer haben im Schweiße ihres Angesichts die Mission viermal wieder aufgebaut. Wir haben unser Land an die Missionare und die Gringos verloren. Aber wir werden uns unser Land und unsere Wälder und Flüsse wieder zurücknehmen. Alles wird wieder uns gehören. Und denkt an meine Warnung, ihr alle. Ihr kennt mich, >Steinerne Hand<. Ihr wißt, daß ich nicht in den Wind spreche.« Er zog noch einmal den Finger über seine Kehle.
Unten im Tal, vor dem Tor zur Mission, ergriff er meinen Arm und zog mich beiseite. Er wartete, bis die anderen an Uns vorbei durch das Tor in den Hof gegangen waren.
»Jemand erwähnte die verschlossenen Türen der Schlafsäle«, sagte er. Er wandte dem Tor den Rücken zu und schaute mich an. »Stecke das hier unter dein Schultertuch und zeige es niemandem. Ich habe Señora Gallegos während der siesta den Schlüssel weggenommen und nach seinem Muster einen zweiten gemacht. Ich habe den neuen Schlüssel an beiden Türen ausprobiert, er paßt.« Er lachte. »Ich sollte Schlosser werden.«
Mit diesen Worten drückte er mir einen Schlüssel in die Hand, und ich zog den Zipfel meines Schultertuches darüber. Der Schlüssel war schwer und unhandlich. Ich brachte ihn in den Schlafsaal und versteckte ihn in meinem Bett unter den Decken.
Ehe die Glocke zur Messe läutete, kletterte ich auf den Kirchturm und hielt nach Westen, über das Meer, Ausschau. Aber ich konnte weit und breit kein Boot erspähen. Das Meer war ruhig, und die Inseln Santa Rosa und Santa Cruz hoben sich deutlich am Horizont ab.
Auch weit draußen vor den beiden Inseln war das Wasser an diesem Abend glatt. Die Insel der blauen Delphine konnte ich nicht sehen, sie war zu weit entfernt. Vielleicht lag es aber auch daran, weil die Welt rund wie eine Orange war, wie »Steinerne Hand« behauptete.
Nach der Messe während des Abendessens erzählte uns Pater Merced etwas, aber niemand hörte richtig zu. Alle dachten darüber nach, was »Steinerne Hand« auf dem Heimweg vom Feld gesagt hatte.
15
»Steinerne Hand« hatte den Sonntag abend nicht nur wegen der fiesta ausgewählt. Es war Vollmond, und man würde schneller vorankommen.
Es wurde eine sehr ruhige fiesta . Im Hof pendelten Laternen aus Buntpapier mit Kerzen darin; drei Jungen spielten Gitarre und einer Geige, und sogar die alten Leute tanz-ten. Es hätte eine fröhliche fiesta sein sollen, aber alle waren still, jeder hing seinen Gedanken nach. »Steinerne Hand« tanzte zuerst mit mir.
Ich war erst seit ein paar Monaten in der Mission, und er hatte mich von Anfang an mehr beachtet als die anderen Mädchen. Manchmal schenkte er mir eine Blume, die er im Garten gepflückt hatte. Nur die Patres durften im Garten Blumen pflücken. Ein anderes Mal brachte er mir Süßigkeiten aus der Küche, und auch das war eigentlich nicht erlaubt.
Wenn wir zusammen auf dem Feld arbeiteten oder tanzten, sprach er sehr wenig. Meistens fragte er mich, wo ich gelebt hätte, bevor ich in die Mission kam. Er fragte mich das immer wieder. Ich vermute, es fiel ihm nichts anderes ein. Manchmal band ich ihm mit meiner Antwort einen Bären auf.
Ich hatte keine Lust zu heiraten. Ich war vierzehn Jahre alt, und in diesem Alter heiraten die meisten Indianermädchen, aber ich wollte nicht.
Vor allem wollte ich Gito Cruz nicht heiraten.
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