Das Verlies der Stuerme
trat die Kutsche fauchend ins Meer. Sie knackte, zwei Räder brachen ab.
»Sie haben gesagt, er ist in der Gefangenschaft gestorben. Krank.«
»Was?«
»Das sagen sie immer, wenn es an der Folter lag«, sagte der Mann leise.
Yanko sah auf seine mehrfach gebrochenen Finger, die roten Striemen und die ausgefranste Narbe, die unter dem Hemdärmel hervorsahen. Er wollte nicht wissen, was die Kleidung noch verbarg.
»Bitte«, wimmerte die Frau, die wohl noch nicht begriffen
hatte, dass sie frei waren, und die letzten Wochen und Monate in ständiger Angst und Qual verbracht haben musste. »Wir können nichts dafür.«
Yanko blickte sie kurz an, dann musste er sich abwenden. Er hasste den Orden. Und dann fühlte er nur noch Schmerz und Trauer. Fassungslosigkeit über den Tod von Ben. Alles Glück und jede Hoffnung hatte ihn verlassen.
Warum nur waren sie nicht in der letzten Nacht ins Kloster eingedrungen und hatten sich auf einen Kampf eingelassen? Jetzt war alles zu spät. Er begann zu weinen und sank zu Boden. Die Welt um ihn verschwand in dumpfer Leere.
»Was machen wir mit den dreien?«, fragte Marmaran irgendwann, und Yanko wusste nicht, ob zum ersten oder hundertsten Mal. Er zuckte mit den Schultern. »Gib ihnen den Braten, ich bringe nichts herunter.«
»Sollen wir sie in die Festung lassen?«
»Nein.« Das wollte er nicht. Er wollte dort niemanden einlassen, wo Ben nun weg war. Die Festung sollte ein Ort bleiben, der nur ihnen gehörte. Er wollte dort keine Fremden haben, am liebsten hätte er auch Vilette wieder rausgeschmissen.
Langsam rappelte er sich auf und torkelte hinein, Nica und Anula begleiteten ihn.
»Verdammter Orden«, sagte Yanko und schloss Anula in die Arme. Sie brauchte jede Nähe und Wärme, die sie bekommen konnte. Nica protestierte nicht, sondern kauerte sich neben sie. Gemeinsam und eng umschlungen warteten sie auf die Nacht.
Als Marmaran Byasso und Sidhy von der Mole abgeholt hatte, bestätigten sie mit tonloser Stimme die Geschichte der drei Verurteilten. Ein Ritter war vor die Menge getreten
und hatte verkündet, dass der schreckliche Ben in Gefangenschaft bedauerlicherweise erkrankt und gestorben sei, doch er habe seine Untaten bereut und Hellwah um Gnade für seine Sünden angefleht. Somit würden leider nur drei Ketzer hingerichtet.
Erkrankt und bereut, pah, dachte Yanko. Niemals.
Kurz darauf waren auch diese Hinrichtungen abgesagt worden, weil geflügelte Drachen die Kutsche entführt hatten. In der Stadt hatte es Tumulte gegeben, doch das interessierte Yanko nicht. Er hörte nicht zu, sah einfach zu den Sternen hinauf und vermisste seinen besten Freund.
NAMENLOS
U nter der Maske juckten die Haare wie verrückt. Sie bedeckte seinen gesamten Kopf; eng schmiegte sich das harte Leder an seine Haut, nur Öffnungen für die Augen, die Nasenlöcher und den Mund waren ausgeschnitten, und zwei für die Ohren, damit er etwas hören konnte. Denn zu hören und gehorchen war wichtig, ja mehr noch, es war alles, was jetzt noch zählte, hatten sie gesagt. Er war zum Verräter geworden, hatte sich den Leuten angeschlossen, die zu bekämpfen er geschworen hatte. Nicht tatsächlich geschworen, aber dennoch. Aus Angst hatte er klein beigegeben.
»Willst du sterben oder für mich arbeiten?«, hatte der Hohe Abt gefragt, und ohne Zögern hatte er geantwortet: »Für Euch arbeiten.«
Er wollte nicht sterben, auf keinen Fall.
Er wollte auch nicht mit Khelchos paktieren, doch er hatte weder den Mut noch den Trotz aufgebracht, um den Tod zu verlangen.
»Du bist ein erbärmlicher Furchtmolch, Ben«, murmelte er und sah zu dem kleinen vergitterten Fenster empor, durch das er nur Dunkelheit erkennen konnte, nicht einen einzigen Stern. Leise hatte es zu regnen begonnen.
»Was soll ich tun?«, hatte er also den Hohen Abt gefragt.
»Drachen heilen«, hatte dieser wenig überraschend geantwortet. »Oft genug werden sie im Kampf schwer verwundet oder auch, wenn die jungen Knappen Mist bauen. Du
kannst dabei helfen, dass sie schneller wieder einsatzfähig sind.« Anschließend hatte er sich erkundigt, ob Ben auch alte Verletzungen heilen konnte, und Ben hatte genickt.
»Gut«, hatte der Abt gesagt, ihm die Maske aufgesetzt und mit drei kleinen goldenen Schlüsseln hinter dem Kopf verschlossen. Ben hatte ein neues Hemd aus groben Leinen bekommen und eine passende Hose, trockenes Brot und alten Käse zu essen, und dann war er in diese Zelle ganz am letzten Ende des Kerkers gebracht worden. »Ruh
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