Das Verlies der Stuerme
ja, man sagt das so.«
»Man?«
»Ja. In den Dörfern.«
Yanko starrte ihn an. Woher konnten die Leute das wissen? Ahnte es irgendwer, seit sie mit der Kutsche über das Meer geflohen waren? Sonst hatten sie doch stets darauf geachtet, nicht zu zeigen, wohin sie flogen.
»Woher können sie das wissen?«, fragte Nica und sah fragend in die Runde.
Sidhy presste die Lippen zusammen und wich ihrem Blick aus.
»Sidhy?«, fragte sie scharf.
»Kann sein, dass ich mich einmal verplappert habe, als ich …« Er verstummte und sah trotzig zu Yanko. »Aber Verplappern ist ein Versehen und kein Verrat! Du brauchst mich nicht wieder zu verprügeln!«
Doch der Schlag kam diesmal von unerwarteter Seite. Wutschnaubend langte ihm Nica eine. Seit Bens Tod waren sie alle angespannt, jeder von ihnen steckte voll Trauer und unterdrückter Wut, die nur auf einen Grund wartete, auszubrechen.
Sidhys Augen weiteten sich vor Entsetzen, und Yanko konnte nicht anders als loszulachen, obwohl es nicht im Geringsten
lustig war, dass nun ihr Versteck bekannt war. Lachend umarmte er Nica. »Das war wundervoll, meine Schöne.«
»Wenigstens wissen wir dank mir jetzt, dass die Stürme uns wirklich schützen«, versetzte Sidhy trotzig.
Plötzlich formte sich eine Idee in Yankos Kopf. Wenn die Stürme tatsächlich Schiffe versenken konnten, dann war dies die Möglichkeit, furchtbar Rache zu nehmen. Aufgeregt rief er: »Das ist es! Wir locken den Orden her! Seine ganze verdammte Flotte! Und dann wird sie von den entfesselten Stürmen des Verlieses versenkt. Wir schicken alle Ritter auf den Grund des Meeres!«
Die anderen sahen ihn an. In ihren Blicken lagen mehr Vorwürfe als Begeisterung.
»Sie haben Ben getötet!«, stieß er hervor.
»Und deshalb willst du Hunderte versenken?«, fragte Nica. »Mitsamt all den Seeleuten und Schiffsjungen, während der schuldige Folterknecht und der Abt wahrscheinlich daheim im Kloster bleiben?«
»Ja!«, schrie Yanko. »Verdammt!« Seit sie ihre Rache bekommen hatte, war sie viel weicher geworden, dachte er, doch dann musste er sich eingestehen, dass sie auch damals nicht auf dem Tod aller Ketzer beharrt hatte, sondern nur den einen hatte finden wollen, der ihren Tod befohlen hatte. Und sie hatte recht. Leiser fügte er hinzu: »Nein. Will ich nicht.«
Dann spuckte er wütend aus, selbst seinen besten Freund zu rächen, war er nicht in der Lage. Versager! Er schnauzte Gibor an: »Du bleibst erst einmal vor der Festung bei den dreien da.«
Im Folgenden erzählte ihnen Gibor, dass in manchen Dörfern gerätselt wurde, warum sie nicht mehr gekommen waren.
Man hatte von einem Angriff auf Rhaconia und das Kloster durch geflügelte Drachen gehört, aber nicht jeder wollte glauben, dass es sich dabei um dieselben handelte, die ihnen bei der Arbeit geholfen hatten.
»Es hat uns doch eh kaum einer geglaubt«, brummte Yanko mürrisch.
»Doch, ich.«
»Ja, du! Ein Junge, der wahrscheinlich nur vor seinen Eltern davonläuft. Ein Geschlagener, Eingesperrter, Rausgeschmissener oder Waise.« So wie wir alle hier, dachte er verbittert. »Was haben deine dir angetan?«
»Äh, nichts.« Gibor wirkte verwirrt.
»Und weshalb bist du dann hier?«
»Na, wegen der Wahrheit«, sagte er leise.
»Wir müssen wieder los!«, polterte Byasso. »Da! Es gibt Leute, die uns glauben. Ben hätte nicht gewollt, dass wir aufhören, die Wahrheit zu verkünden.«
»Ohne ihn hat es doch keinen Sinn«, sagte Yanko. »Er ist der Einzige, der Drachen heilen kann.«
»Wir können vielleicht keine Drachen befreien, aber verhindern, dass weitere versklavt werden!«
»Der Abt kann auch Drachen heilen«, sagte da Gibor. »Habe ich zumindest gehört. Er hat mit Hilfe von Gebeten zu Hellwah Wunder gewirkt.«
Mit offenen Mündern starrten sie ihn an. Warum hatten sie noch nie davon gehört?
»Der Hohe Abt gibt Drachen ihre Flügel wieder?«, fuhr Yanko den Jungen an. Das konnte doch nicht wahr sein, der Orden predigte das Gegenteil.
»Nein!« Heftig schüttelte Gibor den Kopf. »Er kann Blindheit heilen und lahme Füße und all das.«
»Das nützt keinem«, stieß Yanko hervor.
»Nur den Blinden und Lahmen«, wandte Juri ein. »Die dürften darüber ziemlich froh sein. Ich kannte mal einen Drachen, der …«
»Später«, zischte Yanko.
»Das ist interessant«, sagte Nica. »Konnte der Abt das schon früher?«
Gibor zuckte mit den Schultern. »Ich bin nur selten in der Stadt und nie im Kloster, aber bislang hat man davon in unserem
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