Das Verlies der Stuerme
im schlimmsten Fall mit Daumenschrauben befragt und anschließend hingerichtet.«
»Nein, dann nicht.« Ben schüttelte den Kopf. Das mussten Finta und Nesto nicht riskieren, es war schließlich nicht
ihr Kampf. Der Gedanke an Daumenschrauben verursachte ihm ein unangenehmes Ziehen im Bauch, doch es änderte nichts an dem Entschluss, dass er die Wahrheit erzählen würde. Er durfte sich eben nicht erwischen lassen, aber das hatte sowieso festgestanden.
»Meinen Freunden kann ich es vielleicht erzählen«, sagte Nesto. »Die verraten mich bestimmt nicht.«
»Danke«, sagte Ben. »Aber bring dich nicht in Gefahr.«
»Nein. Und so viele Freunde hab ich gar nicht.«
»Na ja, ich werde auch mal zusehen, ob ich nicht doch etwas tun kann«, brummte Finta, der sichtlich nicht feiger dastehen wollte als sein Schiffsjunge.
»He, Ben!«, rief Yanko quer über den Innenhof. Er war vorausgeeilt und rüttelte an der Tür zu einem dicken grauen Turm. »Vielleicht haben die Steuereintreiber ja nicht alle Schätze gefunden! Vielleicht liegt hier ja noch eine Krone oder so herum!«
»Kaum. Diese Gold riechenden Gierhälse sind gründlich«, murmelte der Händler.
»Mal sehen, wer sie zuerst findet!«, rief Ben im selben Moment, packte Anula bei der Hand und rannte mit ihr zum nächsten Turm. Dieser war größer und aus hellerem Stein, verfügte jedoch über schmalere Fenster. Das erschien ihm vielversprechender.
»Dein Turm ist viel mickriger!«, brüllte er noch, aber Yanko war bereits im Inneren verschwunden. Hastig rüttelte Ben an der Tür, doch das Schloss der schweren Eichentür war zugerostet und klemmte.
»Darf ich?« Grinsend tänzelte Feuerschuppe herbei und trat mit aller Kraft gegen die Tür, sodass diese aus den Angeln gerissen wurde und in den unteren Flur flog.
»Danke.« Ben erwiderte das Grinsen, dann stieg er mit Anula vorsichtig über die Schwelle.
Der Flur und die anschließenden Räume erhoben sich mindestens sechs Schritt hoch und waren entsprechend breit. Die Luft war kühl und roch dank der offenen Fenster frisch und nach Meer. Anzeichen von Leben fanden sie im gesamten Erdgeschoss nicht, nur ein paar zurechtgehauene Felsbrocken, die als Hocker und Tisch gedient haben mochten, ein länglicher vielleicht als Bank oder Bett; wenn dort einst Stroh oder eine Matratze gelegen hatte, so waren die inzwischen vermodert und zerfallen. Alles war von grauem Staub bedeckt, und auf einem Fenstersims entdeckte Ben die Abdrücke eines Vogels, wahrscheinlich einer Möwe. Die Wände bestanden aus glatten, kahlen Steinquadern, hier und da hingen noch letzte Befestigungsringe für Fackeln, und irgendwo steckte ein verbogener Haken in einer Ritze. Von Schätzen fand sich nicht die geringste Spur.
Eine Wendeltreppe führte an der Außenwand entlang nach oben, die Stufen waren kniehoch und jeder Schritt mühsam. Dennoch sprangen Ben und Anula eine nach der anderen hinauf, machten auf jeder siebten eine kurze Pause und küssten sich.
»So dauert es ja ewig«, sagte Anula auf der achtundzwanzigsten Stufe und lachte.
»Egal. Das darf ewig dauern«, sagte Ben und küsste sie erneut.
Alle Räume waren ähnlich leer wie die zu ebener Erde, irgendwo entdeckten sie einen Tisch, der grob aus Holz zusammengezimmert war. Ein Stockwerk darüber lagen die Überreste von etwas, das früher ein Fell gewesen sein könnte. Ganz oben unter dem Dach sammelten sie die Bruchstücke
einer kopfgroßen gedrechselten Muschel ein, die in mehrere Teile zersprungen war. Als sie diese aneinander-fügten, erkannten sie, dass sie oben aufgebrochen und sauber abgeschliffen war, so als wäre sie als eine Art Trinkhorn verwendet worden. Es wirkte schön, schöner als Ben sich die Arbeiten dieser primitiven Menschenfresser vorgestellt hatte. Nachdenklich steckte er die Einzelteile ein, dann verließen sie den Turm wieder. Hier gab es keinen Zugang zu einem Keller oder Verlies.
Auch der nächste Turm war verlassen und leer, hatte zum Glück jedoch viele siebte Stufen. Erst als sie anschließend eines der breiten Gebäude mit spitzem Dach betraten, das mit Perlmutt gedeckt zu sein schien, bot sich ihnen ein anderer Anblick. Hier mussten die Seetrolle wirklich gelebt haben. Lange Tische, breite Hocker und Stühle, massive Schränke und mannshohe Truhen aus schwerem Holz standen in vielen Räumen, manche waren mit Korallen verziert, andere vom Wurm zerfressen oder dem Alter gebeugt.
In den Schränken fanden sich weitere Trinkgefäße aus gedrechselten
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