Das Verlies
kriegen.«
Rolf Lura kniete sich vor Becker, der schwer atmete. Er schlug ihm ein paar Mal mit der flachen Hand ins Gesicht und zog an seinen Haaren. »Hallo, Werner! Zeit zum Aufstehen!« Nur einunverständliches Murmeln war die Antwort. »He, Arschloch, mach verdammt noch mal die Augen auf! Wir haben gleich neun. Du müsstest eigentlich schon in der Kanzlei sein, wenn ich mich nicht irre.« Als Becker noch immer nicht reagierte, trat er ihm mit der Fußspitze und mit voller Wucht in den Bauch, woraufhin der Getretene hochschreckte, laut aufstöhnte und nach Luft japste.
»So ist es schon besser«, sagte Lura kalt. »Wach?«
»Lass ihn in Ruhe, er hat dir nichts getan!«, schrie ihn seine Frau an. »Ich …«
»Halt’s Maul! Du redest nur, wenn ich dir das Wort erteile, kapiert?! Musst du mal pissen?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Ich warne dich, du weißt, ich hasse Schmutz. Ein Tropfen auf den schönen Boden, und ich werde dich wohl oder übel bestrafen müssen. Also, musst du mal?«
»Nein.«
»Okay, dann nicht. Und was ist mit dir?«, fragte er Becker, der ihn aus kleinen müden Augen ansah.
»Ob du mal pissen musst? Musst du, oder musst du nicht?«
»Wenn ich darf«, antwortete Becker mit schwerer Stimme.
»Hätt ich dich sonst gefragt, Arschloch?« Lura nahm seine Pistole vom Tisch, schloss die Handschellen auf und bedeutete Becker mit einer Kopfbewegung, sich zu erheben. Er hatte Mühe, auf die Beine zu kommen und aufrecht zu stehen. Alles um ihn drehte sich, er hörte Luras Stimme wie aus weiter Ferne. »Da lang. Und keine Mätzchen, ich bin schneller.«
Becker machte den Reißverschluss seiner Hose auf und wollte pinkeln, als Lura ihn anherrschte: »Du willst doch nicht im Stehen pissen, oder?! Hinsetzen!«
Becker drehte sich um, sah sein Gegenüber an und folgte dem Befehl ohne eine Erwiderung.
»Ich hör gar nichts. Kannst wohl nicht pissen, wenn dir jemand zuschaut?«, fragte er mit meckerndem Lachen. »Na ja, irgendwannwird schon was kommen, außer deine Prostata ist im Arsch. Aber glaub bloß nicht, ich würde dich allein lassen. Auf diese Tricks falle ich nicht rein.«
»Rolf, jetzt hör doch mal zu, ich …«
»Nein, ich höre überhaupt nicht zu. Du wirst gleich zuhören, was ich zu sagen habe. Und bis dahin ist Funkstille. Und jetzt mach schon, ich hab nicht ewig Zeit!«
Becker blickte zu Boden, er konzentrierte sich, obwohl ihm schwindlig war, der Druck in seiner Blase war beinahe unerträglich. Erst kamen nur ein paar Tropfen, bis sich schließlich der gesamte Inhalt in einem breiten Strahl entleerte.
»Also, geht doch«, sagte Lura grinsend. »Ich kann’s auch nicht ausstehen, wenn mir jemand beim Pissen zusieht. Erleichtert?«
Becker erhob sich wortlos, zog die Hose hoch und machte sie zu. Er schaute Lura nur kurz an, ging dann vor ihm zurück in den großen fensterlosen Raum und setzte sich wieder auf den Boden vor den Eisenstangen.
»Mach deinen rechten Arm an der Stange fest«, befahl Lura.
»Kann ich was zu trinken haben?«, fragte Becker, nachdem er dem Befehl nachgekommen war.
»Klar. Wasser, Cola, Whiskey, Bier? Aber vorher trinkst du noch was zum Wachwerden: hier!« Lura reichte ihm den Becher, Becker trank.
Er schüttelte sich und sagte: »Kann ich jetzt Wasser haben?«
»Kommt sofort.«
Becker trank das Glas in einem Zug leer und stellte es neben sich.
»Hunger?«, fragte Lura.
Becker schüttelte den Kopf.
»Und was ist mit meiner kleinen süßen Maus?«
»Nein.«
»Selber schuld. Ich hab jedenfalls schon ein sehr opulentes Frühstück zu mir genommen.« Er steckte sich eine Zigarette an und blies Becker den Rauch ins Gesicht. Grinsend nahm er nochdrei Züge, bevor er sie im Aschenbecher ausdrückte. »Ah, das Zeug bringt mich noch mal um. Ich werde wohl mit dem Rauchen aufhören.« Er lachte wieder meckernd auf, verschränkte die Arme hinter dem Rücken und lief mit langsamen Schritten auf und ab, den Blick zu Boden gerichtet.
»So, kommen wir zum eigentlichen Grund eures Aufenthalts hier. Seit wann genau geht das zwischen euch? Seit einem Jahr oder etwa länger? Ich meine, definitiv weiß ich es seit einem halben Jahr, vermutet habe ich es schon länger. Es war eher ein Zufall, dass ich es rausgefunden habe. Aber wie das so mit den Zufällen ist, sie kommen immer dann, wenn man am wenigsten mit ihnen rechnet. Ich frage mich nur, wie du das angestellt hast, ich meine, ich habe dich doch kontrolliert. Wie hast du es geschafft, mich
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