Das Verlies
unterwegs sein.«
»Und wenn sie heute Morgen um sechs einen genommen haben? Sie haben unter falschem Namen eingecheckt, haben falsche Pässe und wahrscheinlich sogar ihr Aussehen verändert. Und sie kennen sich offiziell nicht.«
»Könnte sein. Zwei Mörder auf der Flucht. Die haben nach der Hausdurchsuchung die Panik gekriegt und …«
»Nee«, unterbrach ihn Durant, »das passt nicht. Wenn sie mit dem Flugzeug unterwegs sind, dann müssen die Tickets schon eine Weile vorher gebucht worden sein. Doch das lässt sich nachprüfen. Dass wir außer dem Testament und der Lebensversicherung nichts weiter gefunden haben, ist doch logisch. Aber dass ich so naiv war … Ich meine, ich bin doch sonst nicht so blauäugig. Wahrscheinlich werde ich einfach älter.«
»Soll ich jetzt sagen: Nein, mein Schatz, du wirst nicht älter? Komm, nimm’s nicht so schwer, wir kriegen die. Und dann gnade ihnen Gott. Die werde ich durch die Mangel drehen, dass ihnen Hören und Sehen vergeht.«
Ein weißer Kombi hielt vor dem Haus, der Mann vom Schlüsseldienst kam ihnen entgegen. Nach einer kurzen Begrüßung machte er sich an die Arbeit. Er brauchte nicht einmal eine halbe Minute, bis er die Tür aufhatte.
Hellmer betätigte den Lichtschalter. Die Wohnung war leer, die Spuren der Hausdurchsuchung waren noch überall sichtbar. Sie gingen wortlos von einem Zimmer in das nächste, nichts. Nach zehn Minuten sagte Durant: »Sie hat nicht hier geschlafen, so viel steht fest. Das Bett ist letzte Nacht nicht benutzt worden.«
»Dann scheint sie wohl nur abgewartet zu haben, bis wir weg waren, und ist sofort danach abgehauen. Für uns gibt’s hier imAugenblick jedenfalls nichts weiter zu tun. Ich schlage aber vor, dass wir Frau Becker mal einen Besuch abstatten. Deren Reaktion möchte ich sehen.«
»Vorher sollten wir aber in Erfahrung bringen, ob der Sohn in der Schule ist. Angenommen, die haben ihn hier gelassen …« Sie stockte, fasste Hellmer am Arm und fuhr fort: »Sag mal, gestern Abend wurde doch auch das Zimmer des Jungen durchsucht, oder?«
»Ja.« Hellmer runzelte die Stirn.
»Was hat er denn gesagt, als plötzlich jemand Fremdes in sein Zimmer kam?«
»Ich war in dem Zimmer«, antwortete Hellmer. »Der Junge war nicht da.«
»Und er war auch nicht bei seiner Mutter. Wo war er also?«
»Keine Ahnung, aber er war nicht hier im Haus. Und wir sind erst nach zehn wieder gegangen. Irgendwann hätten wir ihn sehen müssen.«
»Such mal im Telefonbuch die Nummer der Schule raus und frag im Sekretariat nach, in welche Klasse er geht und ob er dort ist. Wenn er in der Schule ist, sollen die ihm aber nichts sagen.«
»Okay.« Hellmer blätterte im Telefonbuch, nahm den Hörer ab und wollte die Nummer bereits eintippen, als er innehielt und die Wahlwiederholungstaste drückte. Er sah auf dem Display eine Handynummer, doch es kam keine Verbindung zustande. »Schau mal hier«, sagte er, »ich gehe einfach mal davon aus, dass das die Handynummer von Becker ist. Nur da geht keiner ran, und es meldet sich auch keine Mailbox. Was schließen wir daraus?«
»Er hat den Chip entfernt und vernichtet, damit wir ihn nicht orten können. Er ist halt Anwalt. Hast du sie aufgeschrieben?«
»Ja. Und jetzt fragen wir vorsichtshalber seine Sekretärin, ob das seine Nummer ist.« Und nach einem kurzen Gespräch mit Laura Antonioni: »Bingo. Das letzte Telefonat, das sie geführthat, war mit Becker. Er war gestern fast den ganzen Nachmittag bei ihr, und ich kann mir nicht vorstellen, dass sie ihn gleich darauf noch mal angerufen hat. Das war nach unserer Aktion. Die wusste, dass wir nicht aufgeben würden. Deshalb dieser überhastete Aufbruch. Dazu ihr Auto vor Beckers Kanzlei. Dort ist sie in seinen Wagen umgestiegen, und was dann passiert ist …«
»Ruf in der Schule an, ich will wissen, was mit dem Jungen ist.«
Julia Durant ging ein weiteres Mal durchs Haus, in die Garage, die leer war, und versuchte dabei Ordnung in ihre Gedanken zu bekommen, was ihr jedoch nicht gelang. Sollte ich mich in dieser Frau so sehr getäuscht haben?, dachte sie und atmete ein paar Mal tief ein und wieder aus. Hat sie uns vielleicht eine haarsträubende Geschichte von ihrer Ehe aufgetischt, die so gar nicht stimmt? Aber Luras Bruder hat das doch bestätigt. Und die Kreutzer hat mich doch auch nicht angelogen. Das würde ja letztendlich bedeuten, dass alle gelogen haben, was Lura angeht.
Sie begab sich zurück ins Wohnzimmer. Hellmer hatte sich eine Zigarette
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