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Das verlorene Kind

Titel: Das verlorene Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rahel Sanzara
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Seile festgehalten,
und auf der freien Hälfte, unter einem Dachfenster, war sauber durch
weiß gehobelte Bretter ein kleines Gelaß errichtet, in dem das
Knechtsbett stand und Stuhl und Tisch. Das Fenster war zurückgeschoben,
und die Maisonne flutete herein. Frieden und Heiterkeit schwebten um
dieses rührend einfache, verborgene Heim. Lange stand Emma vor diesem
Anblick, lange grübelte sie über seinen Zweck und seine Entstehung
nach, bis sie es begriff. Der Herr hatte es errichtet, mit eigenen
Händen gezimmert, heimlich selbst das Bett und die Möbel
herbeigeschafft für den, der kommen sollte. Weich fühlte sie sich
angerührt von dem Frieden des kleinen Raumes, von der stillen Sorgfalt,
mit der er, so schlicht er war, erschaffen worden war von dem Herrn für
den Knecht. Stille Tränen rannen, in den Gräben der Wunden ihr Gesicht
durchziehend, nieder auf ihre Brust. Sie faltete die Hände und sagte
vor sich hin: »Wie er will, wie er will.« Und so kam der Tag, an dem
Fritz plötzlich wieder unter ihnen weilte.
    Es war Anfang Juli, kurz vor dem Schnitt. Der Herr war am
Sonnabend-Feierabend, trotz eines heranziehenden Gewitters, die
Landstraße entlang dem Dorf zugegangen und erst bei Dunkelheit, in
strömendem Regen, der kühl und erfrischend fiel, zurückgekommen. Alle
schliefen schon. Am Sonntag morgen waren die beiden Frauen, Klara und
Emma, zur Kirche gegangen und kurz vor dem Mittagmahl zurückgekehrt.
    Klara trat erst in ihre Stube ein, legte das Schultertuch und
Gesangbuch fort und schritt dann langsam den kleinen Hügel hinan,
dessen Wiesen, vom Regen erfrischt, in der Sonne golden und grün
erschimmerten. Sie ging auf ihren Bruder zu, den sie in der kleinen
Laube auf dem Rücken des Hügels sitzen sah.
    Christian sah ihr lächelnd entgegen. Ihr Gang war weich
geworden, voller ihre hagere Gestalt, und ihr Gesicht, das dem seinen
so glich, trug jetzt im Alter einen sanften, etwas traurigen Schein von
Jugend. Sie setzte sich zu ihm und erzählte langsam in wenigen Worten,
daß im Dorf Zwillinge getauft worden, und eine neue Steuer
bekanntgemacht sei. Nun kam Emma, die indessen das Mahl fertig bereitet
und den Tisch gedeckt hatte, ebenfalls den kleinen Hügel hinan, um
zwischen den feinen Gräsern noch etwas Salbei für den Salat zu pflücken
und um die beiden zum Essen zu rufen. Gerade, als sie an den Eingang
der Laube gelangt war, ertönte in die sonnendurchglühte Stille des
Mittags das ängstliche Blöken eines Lammes und das Plätschern von
Wasser. Sie wandten alle drei ihre Blicke nach der Richtung, aus der
die Laute kamen, und sahen am Ufer des silberströmenden Baches die
kniende Gestalt eines Mannes, der auf seinen Armen ein junges Schaf
hielt, das anscheinend bei seinen Sprüngen über die kleine Planke des
Ufers gesetzt und in das Wasser geglitten war, und dessen nasses Fell
der Mann, der das Tier wohl aus dem Bach gezogen hatte, mit seinen
Händen rieb und klopfte. Der Mann trug ein weißes Hemd und eine Hose,
keine Schuhe, auf dem Kopfe aber eine Mütze. Um ihn herum lagen auf dem
Rasen ausgebreitet ein Rock und zwei hohe Stiefel. Er drehte den dreien
in der Laube seinen Rücken zu, der ungewöhnlich breit und massig war.
Klara legte, um besser sehen zu können, die Hand über ihre Augen und
fragte: »Wer ist denn das?«
    »Es ist Martin, der neue Knecht für die Ernte«, sagte
Christian ruhig. »Er ist gestern im Gewitter gekommen und hat sich nun
seine Kleider und Stiefel gereinigt. Er hat nur einen Rock. Er kann
deswegen auch heute ruhig hier draußen essen und auf die Weide
aufpassen. Schickt ihm seinen Teil heraus.« Sie gingen alle drei ins
Haus, und Emma schickte die einäugige Magd mit einer Schüssel Essen
hinaus auf die Weide zu dem neuen Knecht. Die Magd kam zurück und sagte
lachend: »Warum hat denn der Martin so einen kahlen Kopf? Er ist doch
noch so jung.« Da wußte Klara, wer es war. Emma ahnte nichts. Am Abend
richtete nun Klara mit der Magd das Essen, und Emma konnte auf dem
Hügel sitzen. Sie hielt in ihren unermüdlichen Händen ihre
Strickarbeit, die immer die gleiche war, die weichen, gebleichten
Wollenstrümpfe für den Herrn. Sie ließ unter dem Kopftuch, das ihr
zerschnittenes Gesicht immer beschattete, ihre sanften Augen in die
weite Dämmerung der Ebene schweifen, über die dem Licht langsam
entsinkende Erde. Der Tag war heiß gewesen und die Arbeit der letzten
Zeit für die Alternden sehr hart. Im

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