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Das Verlorene Labyrinth

Das Verlorene Labyrinth

Titel: Das Verlorene Labyrinth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Mosse
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Leiche gefunden hatte, da bekam ich plötzlich Angst, die Männer, die den Mann getötet hatten, könnten noch irgendwo in der Nähe sein.« Ihre Stimme bebte. »Ich habe plötzlich ihre Blicke auf mir gespürt. Das habe ich mir wenigstens eingebildet.« »Dann ist dir also kein Leid geschehen?«, sagte er langsam, wählte seine Worte mit Bedacht. »Niemand hat sich an dir vergriffen? Dir wehgetan?«
    Die Farbe, die ihr rasch in die Wangen stieg, verriet, dass sie die Bedeutung seiner Frage verstanden hatte.
    »Mir ist kein Haar gekrümmt worden, nur mein Stolz ist gekränkt, und ich habe ... Euer Wohlwollen verloren.«
    Sie sah, wie sich im Gesicht ihres Vaters Erleichterung breit machte. Er lächelte, und zum ersten Mal seit Beginn ihres Gesprächs erreichte das Lächeln auch seine Augen.
    »Nun«, sagte er und atmete langsam aus. »Lassen wir erst einmal außer Acht, dass du leichtsinnig gehandelt hast, Alaïs , dass du ungehorsam warst ... es war richtig von dir, mir alles zu erzählen.« Er nahm ihre Hände, und seine großen Pranken umschlossen ihre kleinen, schlanken Finger. Seine Haut fühlte sich an wie gegerbtes Leder.
    Alaïs lächelte, dankbar für die Begnadigung. »Es tut mir Leid, Paire. Ich wollte mein Versprechen wirklich halten, aber es ist einfach ...«
    Er tat ihre Entschuldigung mit einer Handbewegung ab. »Wir wollen nicht mehr darüber sprechen. Was den unglücklichen Mann betrifft, so können wir nichts tun. Die Räuber haben bestimmt längst das Weite gesucht. Sie würden wohl kaum das Risiko eingehen, entdeckt zu werden.«
    Alaïs runzelte die Stirn. Die Worte ihres Vaters hatten irgendetwas in Bewegung gesetzt, das in ihrem Hinterkopf lauerte. Sie schloss die Augen. Stellte sich vor, wie sie in dem kalten Wasser gestanden und auf die Leiche gestarrt hatte.
    »Das ist ja das Seltsame, Vater«, sagte sie langsam. »Ich glaube nicht, dass es Räuber waren. Sie haben seinen Mantel nicht mitgenommen, der sehr schön war und kostbar aussah. Und er trug noch seinen Schmuck. Goldketten an den Handgelenken, Ringe. Räuber hätten ihm das alles abgenommen.«
    »Du hast gesagt, du hast die Leiche nicht angefasst«, sagte er scharf.
    »Das habe ich auch nicht. Aber ich konnte seine Hände unter Wasser sehen, mehr nicht. Kostbarer Schmuck. Viele Ringe, Vater. Ein Goldarmband aus ineinander verschlungenen Ketten. Eine Kette um den Hals. Warum hätten sie so etwas zurücklassen sollen?«
    Alaïs verstummte, als ihr die aufgedunsenen, geisterhaften Hände des Mannes einfielen, die im Wasser nach ihr fassten, und dort, wo der Daumen hätte sein sollen, nur ein roter Stumpf. Ihr wurde schwindelig. Sie drückte den Rücken gegen die feuchte, kalte Wand und konzentrierte sich auf das Gefühl der harten Holzbank unter ihr, auf den säuerlichen Geruch der Fässer in ihrer Nase, bis das Schwindelgefühl abklang.
    »Es war kein Blut zu sehen«, sprach sie weiter. »Eine offene Wunde, rot wie ein Stück Fleisch.« Sie schluckte trocken. »Sein Daumen fehlte, es war ...«
    »Fehlte?«, fragte er schneidend. »Was soll das heißen, fehlte?« Alaïs hob den Blick, überrascht von seinem veränderten Tonfall. »Der Daumen war abgeschnitten worden. Der Knochen einfach durch trennt.«
    »An welcher Hand, Alaïs?«, fragte er. Jetzt war die Dringlichkeit in seiner Stimme nicht zu überhören. »Denk nach. Es ist wichtig.«
    »Ich weiß nicht ge...«
    Er schien sie kaum zu hören. »Welche Hand?«, drängte er.
    »Die linke Hand, die linke, ganz sicher. Das war die mir zugewandte Seite. Er lag flussaufwärts im Wasser.«
    Pelletier ging mit großen Schritten durch den Raum, riss die Tür auf und rief barsch nach François.
    »Was ist denn? Sagt es mir, ich flehe Euch an. Wieso ist es wichtig, ob es die linke oder die rechte Hand war?«
    »François, mach sofort drei Pferde fertig. Meinen braunen Wallach, Dame Alaïs' graue Stute und eines für dich.«
    François' Miene war so teilnahmslos wie immer. »Sehr wohl, Messire. Wird es ein weiter Ritt werden?«
    »Nur hinunter zum Fluss«, erwiderte Pelletier. Er winkte ihn fort. »Schnell, Mann. Und hol mir mein Schwert und einen sauberen Mantel für Dame Alaïs. Wir treffen uns am Brunnen.« Sobald François außer Hörweite war, eilte Alaïs zu ihrem Vater. Er mied ihren Blick. Stattdessen ging er zurück zu den Fässern und goss sich mit zittriger Hand etwas Wein ein. Die dunkelrote Flüssigkeit schwappte über den Rand des Bechers und ergoss sich auf den Tisch, verfärbte

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