Das verlorene Land
ständig hinter ihm her wie eine Hammelherde.
Zur Abwechslung war das schwer gepanzerte Fahrzeug des Secret Service heute mal nicht dabei, und seine Leibwächter trugen netterweise Jeans und Baumwollhemden.
Nur die dunklen Sonnenbrillen und die Ohrhörer wiesen auf ihre Funktion hin. Abgesehen von den schwarzen Chevrolet Suburban-Geländewagen und einem halben Dutzend Lieferwagen der Behörde für Wiederaufbau, stand der Parkplatz voll mit Lastern und Transportern der Firma Cesky Enterprises, dem aufsteigenden Stern am Himmel der amerikanischen Wirtschaft. Das Catering wurde von Einwanderern aus Pakistan und von den Philippinen besorgt, die unter anderem etwas anboten, was wohl das berühmte Kansas City Barbecue darstellen sollte. Kipper nahm sich eine Portion Rippchen und entschied, dass sie vielleicht heute Morgen in der Stadt gegrillt worden waren, aber ganz bestimmt kein typisches KC-Barbecue waren, so wie er es kannte. Das Fleisch war mit Curry gewürzt. Die dunkelhäutige junge Frau mit den leuchtenden Augen, die mit einer Zange hantierte, lächelte ihn mit blendend weißen Zähnen an.
»Das Barbecue ist heute besonders gut gewürzt, Mr. President.«
»Das Gefühl habe ich auch«, sagte Kipper. »Aber ich hab noch nicht mal meinen Frühstücks-Donut gegessen. Wissen Sie vielleicht, ob Mr. Tench noch welche übrig gelassen hat?«
Sie deutete zum Ende des Büffettischs. Dort stand Jed Culver und nahm sich gerade einen Stapel Schmalzgebäck und Muffins. Als Barney Tench sich näherte, schüttelte er ablehnend den Kopf.
»Ich fürchte, meine Frau hat mit ihm gesprochen«, flüsterte Tench der Serviererin zu.
»Und das ist auch gut so«, sagte Kipper und klopfte seinem Freund auf die Wampe. »Kannst du mir dann bitte mal sagen, wie viele Stunden pro Tag die Stadt mit Strom versorgt wird?«
Barney biss mit schuldbewusstem Gesicht ein Stück von seinem Donut ab und spülte den Bissen mit einem
Schluck kostbarem Kaffee hinunter. Die Donuts, das hatte Kipper herausgefunden, kamen von einem ortsansässigen Unternehmen, dessen Inhaber außer Landes gewesen war, als die Energiewelle kam. Woher der Kaffee stammte, wusste er nicht, aber da er sehr selten war, hatte er sich vorgenommen, nur eine Tasse zu trinken, damit für die Arbeiter, die später die Reste des Büffets bekommen sollten, noch etwas übrig blieb. Barney wischte sich die Marmelade aus dem Gesicht und sprach weiter.
»Im Augenblick schaffen wir achtzehn Stunden pro Tag. Es wird mehr werden, wenn die Züge regelmäßiger eintreffen. Manchmal klappt das nicht, weil das Personal der Eisenbahn aus Indien kommt, und die haben so ihre Eigenarten. Sie sind effizient und arbeiten hart, aber … na ja …«
»Sie haben halt so ihre Eigenarten«, beendete Kipper den Satz. »Ich weiß. Man nimmt eben, was man kriegen kann. Und die Inder sind wirklich ein Gottesgeschenk.«
»Wohl wahr«, stimmte Tench zu. »Es gibt da nur ein Problem, Chef. Ein großes.«
Kipper hielt inne und merkte schon, wie seine gute Laune ihn verließ.
»Seit drei Wochen haben sie keinen Lohn mehr bekommen. Einige, das habe ich herausgefunden, wurden schon seit vier Monaten nicht mehr bezahlt. Natürlich sind viele von denen Flüchtlinge, die froh sind, dass sie ihr warmes Essen bekommen und ein Dach über dem Kopf haben, aber lange geht das nicht mehr gut.«
Kipper seufzte. Geld. Wenn man Geld verdienen wollte, musste man zuerst welches ausgeben. Und um es ausgeben zu können, musste man es erst mal haben oder leihen. Er war der Erste, der zugab, dass er für finanzielle Dinge keine besondere Begabung hatte, aber man musste keinen Nobelpreis in Wirtschaftswissenschaften haben, um zu kapieren, dass die Weltwirtschaft am Boden lag.
Die Finanzmärkte und das Bankensystem waren zusammengebrochen, und die Folgen waren überall zu spüren, auch hier auf diesem Parkplatz.
Die Vereinigten Staaten waren pleite. Sie lebten von der Substanz und der Infrastruktur, beuteten ihre leergefegten Städte aus, aber sie konnten ihre Schulden nicht bezahlen. Seit drei Jahren weigerten sie sich, dies zu tun, was in absolutem Gegensatz zu den Ratschlägen stand, die Alexander Hamilton den Pilgervätern gegeben hatte. Es war ein Akt des Verrats gegenüber den Kreditgebern und hätte durchaus zu einem bewaffneten Konflikt führen können, wenn China nicht im Bürgerkrieg versunken wäre. Kippers gute Laune war nun endgültig dahin, und er wollte retten, was noch zu retten war, indem er sich wieder dem
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