Das verlorene Land
nochmal raus, um nachzuschauen?«
»Glaubt ihr etwa, ich bin verrückt oder was?«
»Na ja, immerhin hast du auf die Royals gesetzt«, brummte Rhino.
»Halt bitte den Mund, ja«, stieß Julianne hervor.
»Nee«, fuhr Ryan fort. »Als ich mitbekommen habe, was da los ist, bin ich in mein Zimmer gerannt. Aber Mister Graham hat mich abgefangen und mir sein Gewehr gegeben. Ich sollte wieder runter und Wache stehen.«
Rhino wandte sich einem Regal zu, auf dem Energieriegel lagen, und sammelte einige davon ein.
»Wurde Lewis verletzt?«
Der Junge zuckte mit den Schultern. »Na ja, er war draußen bei den Bussen, als die Raketen einschlugen. War total voller Blut, und ein Arm hing nur noch so runter.«
Julianne warf Rhino einen Blick zu.
»Klingt so, als hätte man uns kalt erwischt.«
Rhino knurrte abfällig.
»Nach den gestrigen Vorfällen hätte man eigentlich meinen sollen, dass sie extra Sicherheitsvorkehrungen getroffen haben. Dass sie schärfere Anweisungen bekommen haben. Ich hab ja immer gesagt, dass dieser Graham ein Arschloch ist und nicht den Dreck unter meinem Fingernagel wert.«
Julianne ging jetzt weiter auf eine schwere Stahltür zu, die am Ende des Flurs im Dunkeln zu sehen war.
»Wir wollen fair bleiben, Rhino. Diese Raketen könnten auch von einer Stellung außerhalb der Grünen Zone abgefeuert worden sein.«
Rhino gab das zu, indem er kaum merklich die Schultern hochzog.
»Kann schon sein. Aber sie kontrollieren diesen Teil der Stadt schon sehr lange. Sie hätten sich darauf einstellen oder merken können, dass etwas im Busch war, anstatt gar nichts zu tun. Das klingt alles nicht nach irgendwelchen Piraten, wie ich sie kennengelernt habe. Die haben doch überhaupt keine Strategie, die können doch nicht mal so weit vorausdenken, dass sie sich genug Papier besorgen, bevor sie aufs Scheißhaus gehen.«
Julianne nickte, als sie die Tür erreichten. Sie legte ihr Ohr gegen den kalten Stahl. Die Kampfgeräusche waren nur sehr entfernt zu hören.
»Ryan«, sagte sie und lege ihm eine Hand auf die Brust. »Du kommst nicht mit uns mit. Das würde dir gar nicht guttun.«
Rhino brachte seine Waffe in Anschlag, um ihr Feuerschutz zu geben, während sie den schweren Eisenhebel herunterdrückte, um die Tür zu öffnen.
15
New York
»Herr im Himmel, das wird ja immer toller, also wirklich.«
Kipper spähte durch das zerbrochene und stark verschmutzte Fenster im zweiten Stock des Gebäudes der Zollbehörde. Er spürte, wie die Sicherheitsleute hinter seinem Rücken ziemlich nervös reagierten. Es war wohl besser, wenn er sie jetzt nicht reizte, indem er sich irgendwelcher Gefahr aussetzte oder auch nur dem Anschein von Gefahr. Aber so wie es im Moment aussah, fanden die meisten Kampfhandlungen drüben in Uptown Manhattan statt, ein Stück weit entfernt von ihrem Unterschlupf. Und genau das war das hier ja – ein Unterschlupf. Agent Shinoda hatte ihn dort hingeschoben, und nun befanden sie sich in dem massiven Zollhaus, von dem aus man über den Battery Park und die Bowling Green bis zum Ende des Broadways blicken konnte.
Kipper fand, dass es ein sehr schönes Gebäude war. Obwohl es vier Jahre lang leer gestanden hatte und vernachlässigt worden war, wirkte die hundert Jahre alte Architektur noch immer wie eine vollendete Einheit von Form und Funktion. Eben genau so elegant, wie die Architekten es sich damals vorgestellt hatten. Und elegant war nach Kippers Ansicht das höchste Lob, das man einer von Menschen gemachten Sache spenden konnte.
Seine Begeisterung für das gute alte Stück wurde allerdings getrübt durch die Tatsache, dass in der Tribeca-Gegend ein Flächenbrand ausgebrochen war. Gerade dort
hatten viele der Räumungs- und Bergungsarbeiter, denen er gestern einen Besuch abgestattet hatte, ihre Quartiere. Vor einigen Stunden war die Sonne aufgegangen, und mit dem Tagesanbruch war eine donnernde Explosion einhergegangen, die deutlich gemacht hatte, dass sie sich hier in einem regelrechten kleinen Krieg befanden. Ein Krieg war das ganz bestimmt, auch wenn sie nicht gegen eine fremde Nation kämpften. Zumindest nicht offen. Er hatte genug Geheimdienstberichte studiert, um zu wissen, dass eine ganze Reihe von Staaten die eine oder andere Piratenbande unterstützten. Entweder, um von ihren Plünderungen zu profitieren, oder ganz einfach nur, um gegen einen alten Feind vorzugehen. Wie lautete doch dieses alte arabische Sprichwort? Ein stürzendes Pferd zieht viele Messer an. Oder war es
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