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Das verlorene Observatorium

Das verlorene Observatorium

Titel: Das verlorene Observatorium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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sie schrieb, war Claire. Anna überanstrengte ihre angeschlagenen Augen. Wahrend die Wochen verstrichen, schrieb sie mit schwarzem Garn folgende Sätze auf ihr Kleid: Claire liebte Alec.
    Alec liebte Claire.
    Der Pförtner liebte Claire.
    Mrs. Orme liebte einen Junggesellen.
    Mr. Orme liebte Mrs. Orme.
    Dies ist mein Liebeskleid, Francis, erklärte sie mir. Ich schreibe Sätze der Liebe, damit ich sie niemals vergesse. Damit ich, falls ich blind werde, die Worte ertasten kann, wenn ich sie trage.
Über Francis und Liebende (1)
    Es ist allgemein bekannt, dass Liebespaare Händchen halten. Es ist allgemein bekannt, daß ich Handschuhe trage. Es ist allgemein bekannt, daß ich niemals etwas berühre, das schmutzig sein könnte (menschliches Fleisch ist nur ein Beispiel). Also konnte ich mit meiner Geliebten niemals Händchen halten. Deshalb habe ich keine Geliebte.
    Eines Tages wurde von einem Kurier ein großer Pappkarton ins Observatorium geliefert. Auf dem Karton stand: Eigentum von Francis Orme. Der Pförtner brachte den Karton hoch in Wohnung 6. Innerhalb weniger Minuten wußte jeder im Observatorium von diesem Karton. Mutter sah, wie der Pförtner ihn hochbrachte, woraufhin sie sofort losstürmte, um es Claire Higg und Anna Tap zu erzählen. Aber ich brachte den Karton in mein Zimmer und schloss hinter mir die Tür, sperrte die anderen aus. Claire, deren Gedanken durch den Fernseher getrübt waren, in den sie starrte, meinte, es könnte sich Geld in dem Karton befinden oder vielleicht sogar ein abgeschlagener Kopf, war aber ansonsten viel zu beschäftigt, um ihre Wohnung zu verlassen und der Sache auf den Grund zu gehen. Mutter und Anna klopften an meine Tür. Laß uns rein, Francis, was ist in dem Karton? Geh weg, Anna. Geh weg, Mutter. Laßt mich in Ruhe.
    In dem Karton befanden sich zum Schutz des Inhalts jede Menge Styroporflocken. Als meine behandschuhten Hände vorsichtig herumtasteten, stieß ich auf Haare und sogar ein Gesicht und einen Hals und zwei Schultern. Es war eine Büste aus Wachs. Als ich mir das Gesicht zum ersten Mal anschaute, jagte mir seine Genauigkeit einen Schrecken ein. Ich starrte sie an und sie runzelte weder die Stirn noch schaute sie weg. In dem Karton lag eine Postkarte, ein Photo des Wachsmodells Unserer Stifterin, auf deren Rückseite folgendes geschrieben stand: Francis, Beiliegend der Kopf Deiner Wahl. Ich rate davon ab, Wachs zu küssen, Fleisch ist erheblich weicher. William Sie war sehr gut getroffen. Bis auf ein Detail. Die Augen. Die Augen waren ganz gewöhnliche, gesunde, wunderschöne grüne Augen. William hatte Anna perfektioniert.
    Ich hörte Anna, die echte Anna, außerhalb meines Zimmers, wo sie in der Küche mit Mutter redete. Anfangs war es schwer zu glauben, daß sie zwei einander so ähnliche Köpfe haben konnte und daß einer davon mir ganz allein gehörte. Ich berührte ihn. Ich berührte die Augen, die Haare, ich küßte die Lippen. Ich studierte das Gesicht. Hier war Anna und ich konnte sie berühren, wie ich sie berühren wollte. fch konnte ihre Haare streicheln. Anna hätte mir niemals erlaubt, sie so zu berühren, und selbst wenn, wäre ich womöglich Gefahr gelaufen, meine Handschuhe zu beschmutzen. Jetzt konnte ich sie berühren und sicher sein, dass meine Handschuhe makellos blieben Die Büste beklagte sich nicht, ich tat so, als gefielen ihr meine Aufmerksamkeiten. Ich machte mir vor, daß es wirklich Anna war, die ich da berührte, daß meine Baumwollfinger wirklich ihre Haut spürten. Doch was genau bedeutete der Wachskopf? Daß ich mich nie wieder einsam fühlen müßte.
    Mutter und Anna erzählte ich, bei der Lieferung habe es sich um eine neue Schachtel mit Handschuhen gehandelt. Sie schienen mir zu glauben, auch wenn sie nicht ganz nachvollziehen konnten, warum ich nun so viel mehr Zeit in meinem Zimmer verbrachte. Es fiel mir schwer, den Kopf allein zu lassen und wenn es nur für einen Moment war
Zur Rettung der Ausstellung
    Aber ich konnte einfach nicht aufhören, an die echte Anna zu denken. Die Wachsbüste bewirkte, daß ich nur noch mehr an sie dachte. Wenn ich nicht in meinem Zimmer war, war ich mit der echten Anna Tap zusammen. Ich sah ihre Lippen oder ihre Ohren oder ihre Haare und sehnte mich danach, sie zu berühren, konnte es kaum noch erwarten, wieder in meinem Zimmer bei der Wachsbüste zu sein.
    Francis, sagte ich zu mir, du mußt dir ganz schnell was einfallen lassen, denn die Ausstellung leidet. Francis, sagte ich zu mir, mit Hilfe

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