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Das verlorene Observatorium

Das verlorene Observatorium

Titel: Das verlorene Observatorium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Gesicht und dann passierte die erste außergewöhnliche Sache, Zwanzig wich zurück.
    Die neue Bewohnerin stand auf. Zwanzig wich weiter zurück. Die neue Bewohnerin hob ihre Hand höher als Zwanzigs Zähne, etwa auf Kopfhöhe. Sie legte die Hand auf Zwanzigs Kopf, auf Zwanzigs Haare. Und dann passierte die zweite außergewöhnliche Sache, sie fing an, Zwanzig, die Hundedame, zu streicheln. Und Zwanzig, die Hundedame, ließ es zu.
    Fünf Minuten später saß die neue Bewohnerin auf dem Flecken Gras, der bislang als Zwanzigs Eigentum angesehen wurde. Zwanzigs Kopf lag in ihrem Schoß, und sie streichelte immer noch ihre Haare. Zwanzig lächelte zufrieden. (Ich hätte Zwanzigs Haar um nichts auf der Welt angefaßt, ich mußte schließlich an meine Handschuhe denken. Ich fürchtete um die Hände der neuen Bewohnerin.) Und so, in unauffälliger Entfernung sitzend, beobachtete ich das glückliche Paar eine halbe Stunde lang, die neue Bewohnerin streichelnd und rauchend, Zwanzig lächelnd und seufzend, bis ich leider und unvermeidlich abgelenkt wurde.
Eine kurze Geschichte über Paßphotos
    Meine Paßphotosammlung nahm ihren Anfang, nachdem ich es mir abgewöhnt hatte, in der Stadt spazierenzugehen (kurz nachdem Tearsham Park seinen Namen in »Das Observatorium« abgeändert hatte). Früher brach ich von zu Hause auf und schaute mich in der Stadt nach einem interessanten Menschen um, dem ich folgen konnte. Wenn ich dann eine solche Person gefunden hatte, folgte ich ihm oder ihr einfach diskret in einem gewissen Abstand. Manchmal folgte ich einem Mann, andere Male einer Frau. Ich hatte keine Vorlieben. Dem ersten interessanten Mensch, der mir über den Weg ief, folgte ich. Ungeachtet des Geschlechts. Oder des Alters. Oder der Rasse. Ich folgte der auserwählten Person, solange sie in Bewegung blieb. Ich beobachtete sie und stellte mir dabei das Leben vor, das die fragliche Person wohl führen mochte. Es interessierte mich nicht weiter, ob meine Vorstellungen zutreffend waren oder nicht. Was zählte, war allein, daß ich am Ende des Tages das Gefühl hatte, einen neuen Menschen kennengelernt zu haben. Manchmal dauerten diese Spaziergänge sehr lange, Stunden vielleicht, manchmal auch nur wenige Minuten. Das war jedoch unwichtig. Wichtig war nur, daß ich meinte, Zeuge eines kurzen Augenblicks im Leben eines interessanten Menschen geworden zu sein. Es mag vielleicht kein interessanter Augenblick gewesen sein. Das war mir aber egal. Ich war einem interessanten Menschen nahe gewesen, jemandem, mit dem ich mich womöglich gern angefreundet hätte. Aber ich fand, daß Freunde überwiegend abwesende Dinge waren. Ich hatte nur einen echten Freund, dem ich allerdings erst begegnete, nachdem ich meine Stelle im Wachsfigurenmuseum angetreten hatte. Auf eine Art waren meine Spaziergänge auf den Straßen der Stadt ein Trost. Durch sie kam ich so nahe an interessante Menschen heran, wie ich wollte. Ich hätte mir nicht gewünscht, daß diese Streifzüge durch die Stadt, diese städtischen Verfolgungsjagden unbedingt zu einem Gespräch, geschweige denn zu einem Austausch von Adressen führen würden.
    Meine Stadtspaziergänge hörten an dem Tag auf, als ich meine Stelle im Wachsfigurenmuseum antrat. Von da an waren meine Tage ausgefüllt. Unser Arbeitstag war lang, und wir mußten an sieben Tagen in der Woche arbeiten. Aus diesem Grund war es mir nun unmöglich, durch die Straßen der Stadt zu streifen und mich interessanten Menschen an die Fersen zu heften. Tagsüber war ich auf das Wachsfigurenmuseum beschränkt und damit zugegebenermaßen glücklich. Abends, nach getaner Arbeit, war ich viel zu müde, um noch auf der Suche nach interessanten Menschen durch die Straßen der Stadt zu ziehen. Gleichwohl ich sie vermißte, wie ich mich erinnere.
    Auf dem Weg zur Arbeit kam mir dann eines Tages eine Idee. Auf einem Bürgersteig hatte ich ein verlorenes Paßphoto gefunden. Ich hob es auf. Ich betrachtete das Gesicht. Ich dachte mir eine Geschichte zu diesem Gesicht aus. Und behielt das Paßphoto. Mit der Zeit hatte ich genügend Paßphotos für eine Sammlung. Diese Sammlung war allerdings nie, so sehr ich sie auch bewunderte, ein Ersatz für meine eigentliche Arbeit: die Ausstellung von Gegenständen, wie man sie im Keller findet, in diesem Tunnel, der zu der Kirche führte (eine Ausstellung, zu der im übrigen auch ein Paßphoto gehört, Position 770). Es mag offenkundig sein, daß Paßphotos nicht unbedingt zu den Dingen zählen, die man

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